Debatte Merkel bei Bush: Pilgerfahrt nach Texas

Angela Merkel hat sich von US-Präsident George W. Bush manipulieren lassen. Zu gern wollte sie offenbar glauben, dass er seine Position gegenüber dem Iran verändert hat.

US-Präsident George Bush ist also bereit, den Konflikt mit dem Iran diplomatisch zu lösen. Werden wir also nichts mehr hören von einem Dritten Weltkrieg oder von der drohenden Gefahr durch iranische Atomwaffen - Waffen, die Iran ebensowenig besitzt wie die nötigen Trägerraketen? Wir wissen, dass Bush als junger Mann Aufputschmittel genommen hat, bevor er durch die Frohe Botschaft des Evangeliums davon erlöst wurde. Hat also die Pfarrerstochter aus Brandenburg bei ihrem Besuch in Texas eine Wandlung Bushs bewirkt, für die wir den Himmel lobpreisen sollten?

Nun, in den USA ist Bush beträchtlichem Druck der Gegner eines Irankrieges ausgesetzt. Selbst im Außenministerium und bei den Militärs wächst der Widerstand. Admiral Fallon etwa, der Kommandeur im Mittleren Osten, hat gesagt, dass er nichts mehr von einem Krieg gegen den Krieg hören wolle. Stattdessen sollte lieber verhandelt werden. Sachkundige Kommentatoren raten ohnehin seit langem von einem Militärschlag ab. Umfragen zeigen, dass eine beachtliche Mehrheit der Amerikaner diesmal nicht kriegerisch ist, sondern einem Waffengang ablehnend gegenübersteht.

Diese Umfragen hat der Präsident offenbar gelesen. Deshalb sagte er schon vor dem Besuch der Kanzlerin, dass er nach zwei Kriegen, in die er die Amerikaner geführt hat, einen diplomatischen Weg suchen will. Es kommt hinzu: Die Wirtschaft läuft immer schlechter, und sein politisches Ansehen ist im freien Fall begriffen.

Es wäre allerdings voreilig, einen Ausbruch der Rationalität in der Regierung zu feiern. Der Präsident weiß: Ein Angriff auf den Iran würde die demokratische Opposition spalten und einem republikanischen Präsidentschaftskandidaten die Chance geben, das große Reservoir an wütender und chauvinistischer Aggressivität in der Gesellschaft auszuschöpfen. Die demokratischen Kandidaten zeigen sich unterschiedlich skeptisch gegenüber einem Militärschlag, aber insbesondere Hillary Clinton schließt ihn nicht vollkommen aus.

Die Demokraten sind Gefangene der Israel-Lobby. Bei dieser Lobby handelt es sich keineswegs nur um Juden - und eine bedeutende Zahl der amerikanischen Juden lehnt deren krude Form des Imperialismus ab. Entscheidend ist jedoch: Israels amerikanische Verbündete sind verbunden mit Vizepräsident Dick Cheney und anderen, die eine dritte Front gegen den Islam wünschen. Ein Angriff auf den Iran wäre eine hervorragende Möglichkeit, sich zu profilieren. Wenn also Bush keinen Angriff befiehlt, könnte auch seine mögliche Nachfolgerin Hillary Clinton mit einem Militärschlag ihre "Entschlossenheit" und "Stärke" unter Beweis stellen. Sollte es dazu kommen, würden die Medien das letztlich unterstützen. Schließlich haben sie sich schon öfter als ebenso manipulierbar erwiesen wie die Außenpolitiker in der US-Regierung, die Kongressabgeordneten und viele Wissenschaftler in den Universitäten und Think-Tanks.

Wie lassen sich also Bushs zurückhaltende Worte im texanischen Crawford erklären? Nähme man sie für bare Münze, würde man ihre geistige Herkunft ignorieren. Doch: der Markt ist frei für neue Märchenstoffe, seit bekannt ist, dass es keine neuen Harry-Potter-Bücher mehr geben wird. Es bleibt daher nur die Frage, warum die deutsche Kanzlerin sich in führender Position für Bushs Verkaufskampagne einspannen lässt. Denn es gibt womöglich gar keine diplomatische Option, da die USA, zumal unter Bush, nicht wirklich an einem Kompromiss interessiert sind, der die guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern wieder herbeiführen könnte. Auf der anderen Seite wollen die Kräfte des militanten Nationalismus in Iran keine Konzessionen machen an die Macht, die offen ihre Ausrottung verficht. Irans eingeschüchterte Demokraten leiden zwar unter scharfer Verfolgung, lehnen aber eine US-Intervention ebenso ab, weil ein Militärschlag nur die Diktatur der Mullahs konsolidieren würde.

Zudem wird weder in Amerika noch in Europa überhaupt noch die Frage diskutiert, ob es wenigstens den geringsten Beweis für ein Atomwaffenprogramm der Iraner gibt. Außer Acht gelassen wird auch eine weitere Tatsache. Neben Russland, Indien, Pakistan - und den US-amerikanischen Truppen in der Region - gibt es noch eine weitere wichtige Atommacht: Israel. An dessen Waffenarsenal zu erinnern, würde bedeuten, dass Israel eben nicht nur als das gutmütige Opfer einer Aggression wahrgenommen wird, als das es sich selbst immer hinstellt. Es ist schließlich unwahrscheinlich, dass Israel nie daran denkt, diese Waffen im Ernstfall auch zu benutzen.

Kanzlerin Merkels Verlangen ist verständlich, so zu handeln, als ob Bush wirklich das meinte, was er gesagt hat. Zumal: Wenn Unterstützung für Israel zur deutschen Staatsräson gehört, wie Merkel kürzlich erklärt hat, dann ist es natürlich schwierig, die Politik von Israels großem Beschützer in Frage zu stellen. Angela Merkel würde aber auf jeden Fall gut daran tun, sich zu fragen, welches Israel sie unterstützen und welche israelische Politik sie befürworten will. Was würde zum Beispiel die deutsche Kanzlerin machen, wenn Israel auf Druck von Dick Cheneys Gang in Washington einen eigenen Militärschlag gegen den Iran vornähme?

Angela Merkel hat zugelassen, dass sie manipuliert wurde. Sie hat die Erfindung akzeptiert, dass Außenministerin Condoleezza Rice die absolute Gegenspielerin von Vizepräsident Cheney ist. Das wäre ihr nicht passiert, wenn sie im Fernsehen statt "Tatort" die US-amerikanische Serie "Law and Order" sehen würde. In ihr wird nämlich das Prinzip des "Good Cop" versus "Bad Cop" fast perfekt vorgeführt. Bedauerlicherweise akzeptiert Merkel aber noch eine weitere US-Erfindung: dass Hamas und Hisbollah iranische Satelliten sind - und nicht die palästinensische und libanesische Antwort auf Israels expansionistische Politik.

Vor alledem jedoch akzeptiert sie die Prämisse, dass Irans Verhalten unrechtmäßig ist. Auf dieser Basis wird Bush oder seinE NachfolgerIn irgendwann behaupten, die diplomatischen Möglichkeiten seien ausgeschöpft, und europäische Unterstützung für eine aggressive amerikanische Politik einfordern. Die Kanzlerin hat den USA nicht gerade gezeigt, dass Deutschland wirklich ein souveräner Staat ist, als sie versprach, dass deutsche Firmen ihre Handelsaktivitäten einschränken, um mehr Druck auf Iran auszuüben. Die vermeintlich selbstbewusste deutsche Regierungschefin hat sich bei ihrem Besuch in Texas als fromme transatlantische Pilgerin entpuppt.

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Daniel Haufler

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