Kommentar Postmindestlohn: Mit Kartoffeln argumentiert

Nicht der Mindestlohn ist Schuld am Arbeitsplatzabbau von Pin, sondern betriebswirtschaftliches Versagen, meint Ulrike Herrmann

Arbeitsplätze sind immer ein Argument, das den politischen Gegner in die Ecke drängt. Nun kündigt also der private Postdienstleister PIN an, dass er mehr als 1.000 Briefzusteller entlassen will. Und der Schuldige wird gleich mitgeliefert: Der überhöhte Post-Mindestlohn soll die schönen Jobs vernichtet haben.

Diese Botschaft wird nicht ungehört bleiben, denn intuitiv ist sie vielen plausibel. Man kennt es vom Gemüsemarkt: Wenn der Preis für eine Ware steigt, dann wird sie seltener nachgefragt. Diesmal scheint es eben die Briefträger zu treffen, was sonst für überteuerte Kartoffeln gilt. Sie bleiben unbenötigt übrig.

Dieser intuitiv so einleuchtende Zusammenhang verliert aber bereits ein wenig seiner zwingenden Logik, wenn man sich den konkreten Fall der PIN Group ansieht, die neuerdings zum Springer-Konzern gehört. Es drängt sich der Verdacht auf, dass das Management jetzt sein eigenes Versagen auf die Politik abschieben will. Denn das Unternehmen ist offenbar schlecht geführt, wenn es bei nur 350 Millionen Euro Umsatz einen Verlust von 55 Millionen einfährt. Konkurrenten wie die niederländische TNT hingegen scheinen zu florieren - trotz der harten Konkurrenz auf dem deutschen Postmarkt.

Aber das sind betriebswirtschaftliche Betrachtungen. Volkswirtschaftlich zählt vor allem eine Zahl, die von den privaten Postkonkurrenten immer wieder vorgetragen wird: In der ganzen Branche würde der Mindestlohn wenigstens 20.000 Arbeitsplätze kosten, heißt es. Da ist es wieder, das Kartoffelargument.

Tatsächlich rentiert sich mancher Botengang vielleicht nicht mehr, sollten die Löhne steigen. Doch wenn solche Billigjobs entfallen, ist das nicht unbedingt ein Verlust. Es ist eben nicht wahr, dass jeder Lohnjob sich lohnt. Schon jetzt sieht sich der Staat in der Zwangslage, dass er immer mehr Beschäftigte subventionieren muss, die von ihren Gehältern nicht leben können. Die Unternehmer sind doch immer für Effizienz - aber effizient ist nur, was zum Leben reicht.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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