die taz vor 18 jahren über die deutsche polenpolitik und die ignoranz gegenüber den zwangsarbeitern
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Die Bundesregierung hat eine Entschließung beider deutscher Parlamente zur Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze davon abhängig gemacht, daß die polnische Seite keine Reparationsforderungen mehr erhebt. Eigentlich dürfte dieses Thema keine Rolle mehr spielen, denn Polen hat 1953 gegenüber der DDR erklärt, daß es mit dem Stichtag 1. 1. 1954 auf weitere Reparationen Deutschlands (ausdrücklich: Deutschlands) verzichte. Polens Verzicht auf Reparationsleistungen folgte nolens volens der Politik der Sowjetunion, die DDR zu stabilisieren. Entsprechend hieß es in der damaligen polnischen Erklärung, sie sehe in dem Verzicht „einen weiteren Beitrag zur Lösung der deutschen Frage im Geist der Demokratie und des Friedens“.

Ausdrücklich nicht von dem Verzicht auf künftige Reparationsleistungen betroffen sind allerdings die Ansprüche, die die ins Deutsche Reich verschleppten bzw. in den besetzten Ländern eingesetzten Zwangsarbeiter gegen ihre ehemaligen „Arbeitgeber“ erheben. Es hat in den vergangenen Jahren von seiten der Grünen und vereinzelter Sozialdemokraten Versuche gegeben, diesen jetzt in der Regel von Minimalrenten lebenden Menschen wenigstens eine einmalige Zahlung in Devisen zukommen zu lassen. Schuldner wäre der Bund, der anschließend gegenüber den Firmen bzw. Behörden Ansprüche erheben könnte. Diese Initiativen, von der polnischen Regierung aufgegriffen, wurden von den Regierungsparteien und führenden Sozialdemokraten unisono abgeschmettert.

Sollte die Bundesregierung mit der Forderung „Verzicht auf Reparationen“ tatsächlich mehr meinen als eine nochmalige Bekräftigung der polnischen Erklärung von 1953, könnte sich dieses „mehr“ nur auf die Forderungen der Zwangsarbeiter beziehen. Einem solchen Ansinnen könnte die polnische Regierung schon aus innenpolitischen Gründen nicht zustimmen, von der Moral ganz zu schweigen. Christian Semler, taz v. 5. 3. 1990