Kommentar DIW-Studie zu Einkommen: Billige Tricks mit der Datenbasis

Es ist methodisch unredlich, obwohl bei der Regierung außerordentlich beliebt, einfach nur ein einziges Aufschwungsjahr zu betrachten. Die US-Finanzkrise wird auch hier spürbar werden.

Die Armut ist 2006 gesunken. Diese Nachricht vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) überrascht nicht, wuchs doch die deutsche Wirtschaft damals rasant. Von den vielen neuen Stellen hat dann auch so mancher Arbeitslose profitiert und damit die Schwelle aus der Armut übersprungen - zumal man gar nicht viel verdienen muss, um nicht mehr zu den Notleidenden zu zählen. Nur über 891 Euro netto im Monat muss ein Single verfügen, damit er nicht mehr als arm gilt.

Trotzdem werden Union und SPD nun wieder jubeln und behaupten, dass die Agenda 2010 ein Erfolg war: weniger Arme - wenn das kein Beweis ist! Doch das ist eben ein wenig kurz geschlossen. Denn es ist methodisch unredlich, obwohl bei der Regierung außerordentlich beliebt, einfach nur ein einziges Aufschwungsjahr zu betrachten. In jedem Boom geht die Armut zurück - das war im Jahr 2000 auch schon so, als Hartz IV noch ferne Zukunft war.

Aussagekräftig werden die Statistiken erst, wenn zwei Aufschwungszyklen miteinander verglichen werden - und dann fällt die Bilanz der rot-grünen Regierungszeit verheerend aus. Denn absolut gesehen gab es 2006 immer noch 14 Millionen Arme - und damit 4 Millionen mehr als im Jahr 2000. Auch sonst liest sich der DIW-Report außerordentlich trübe für die Agenda-Fans: So ist die Lohnquote rasant gefallen, die den Anteil der Gehälter am gesamten Volkseinkommen misst - woraus sich umgekehrt ableiten lässt, wie stark die Gewinne gestiegen sind. Im Jahr 2000 lag also diese Lohnquote noch bei 67 Prozent; bis 2007 ist sie dann auf 61 Prozent gefallen. Der große Rest ging an die Kapitalbesitzer.

Die Armut sinkt. Das klingt immer so, als würde die Mehrheit der Bevölkerung irgendwie reicher. Doch tatsächlich sind die Durchschnittseinkommen von 2000 bis 2006 geradezu dramatisch gesunken - um real 6 Prozent, wie nun beim DIW nachzulesen ist. Und demnächst wird es noch ungemütlicher: Schon jetzt ist abzusehen, dass die US-Finanzkrise auch auf dem deutschen Arbeitsmarkt Spuren hinterlassen wird. Damit wäre auch der letzte Grund, die Armutszahlen oder die Agenda 2010 zu bejubeln, hinfällig.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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