die taz über den zustand der deutschen öffentlichkeit vor 10 jahren
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Seitdem SPD und Grüne die Wahl gewannen, wittern die Streber Morgenluft. Fingerschnipsend wird aufgezeigt: Hier, hier, ich möchte mitmachen! Nehmt mich! Die privaten Stellengesuche werden öffentlich ausgehängt: „Gerhard Schröder redet zum achten Jahrestag der deutschen Einheit mit erstaunlich angenehmem, unpathetischem Timbre, klarer Semantik und stilvoller Reverenz an seinen Vorgänger Kohl“, schwärmt es einem aus dem Spiegel entgegen, daß man sich Stollen unter die Schuhe wünscht. Die Besingung des Gerhard Schröder steigert sich noch: „Abends hebt er Klaus Meine, den Sänger der Rockgruppe Scorpions, vor lauter Begeisterung über den musikhistorischen Augenblick für ein paar Sekunden in die Luft.“ Die Hannoveraner Lederhosen und ihre wechselseitige Kungelei mit Schröder als „musikhistorischen Augenblick“ zu feiern hat etwas Verzweifeltes. Dabei gibt es heute doch so schöne Hörgeräte.

Adressat besonders hartnäckiger Bewerbungen ist der designierte Kulturminister Michael Naumann. „Es ist schon ein starkes Stück, wie er uns alle gekriegt hat“, schwärmt Jörg Lau in der Zeit – tatsächlich „uns alle“? In jedem Fall aber Jörg Lau: „Da wäre endlich jemand am Drücker“, schwärmt der Feuilletonist – er schreibt tatsächlich „am Drücker“ –, „mit dem man sich gerne streiten möchte.“

Auch in der taz werden die Winkelemente gezückt: „Wo Naumann auftritt, liegt Champagnerduft in der Luft“, schwelgt Harry Nutt in Aussicht auf ein paar Freigetränke, und Mariam Lau, die bereits in der Süddeutschen Zeitung verkündet hatte, bei Naumann gerne „mitmachen“ zu wollen, macht sich auch in der taz schon mal mit ihrer Regierung gemein: „Man spricht die gleiche Sprache“, behauptet sie. Wer die Sprache liebt, der weiß: Das ist eine Drohung.

Gerhard Schröder und Michael Naumann sind die Helden jener Leute, die gern mit oben schwimmen möchten und entsprechend heftig die Fahne schwenken. Wiglaf Droste