Kommentar Schulreform: Aussortierer bitte zurücktreten

Hauptschulen werden künftig nicht mehr an den allgemein gültigen Bildungsstandards gemessen. Das verstößt gegen die Verfassung.

Was für ein Pisa-Jubiläum! 2001 zeigte die erste Studie dieses Namens, dass über ein Fünftel der Schüler nicht mehr richtig lesen kann. Damals versprachen die Kultusminister, alles zu tun, um den Schulen zu helfen. Und nun das.

Am 4. Dezember, also auf den Tag genau sieben Jahre nach Pisa, werden die Minister die Hauptschulen aus dem Kreis der allgemeinbildenden Schulen ausschließen. Ab kommendem Jahr nämlich gelten die neuen Bildungsstandards für alle Schulen - nur sollen die Hauptschüler dann schlicht nicht mehr an ihnen gemessen werden.

Die Kultusminister setzen damit konsequent ihren bisherigen Kurs fort: Von Bildungsarmut wollen wir nichts wissen! Das ist deswegen ein starkes Stück, weil der Bildungsverlierer inzwischen so etwas wie der Prototyp des deutschen Schulsystems ist: 20 Prozent eines Jahrgangs können nicht richtig lesen, 80.000 Schüler verlassen die Schule jedes Jahr ohne Abschluss, 420.000 schmoren in den Sonderschulen und 16 Prozent der Hauptschulen gelten als unrettbar verloren. Das ist übrigens keine provokante These, sondern ein Fakt, genauer: das Ergebnis einer Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.

Die Eigenart der deutschen Schule ist es, den Schüler nicht zu respektieren. Das ist nicht die Schuld gemeiner Lehrer, sondern die Folge des gegliederten, also selektiven Schulsystems. Der bevorstehende Beschluss der Kultusminister liegt auf dieser Linie. Anstatt die Hauptschulen abzuschaffen und ihren Schülern in einer "Schule für alle" bessere Chancen zu geben, hält man diese Schulform aufrecht - und senkt die Ansprüche.

Das ist nicht nur ein krasser Widerspruch zu dem Versprechen der Länder auf dem Bildungsgipfel, die Zahl der Schulabbrecher zu halbieren. Es ist auch ein Verstoß gegen die Verfassung. Dort steht, dass Schule nicht diskriminieren darf und Kinder nicht nach den Besitzverhältnissen ihrer Eltern eingruppieren soll. Genau das aber tun die Kultusminister. Erst sortieren sie Migranten und sozial Benachteiligte in Hauptschulen - und dann setzen sie dort die allgemeinen Standards außer Kraft. Das ist einer demokratischen Schule nicht würdig. Wer so handelt, muss zurücktreten.

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