Debatte Krieg im Ostkongo: Kein Krieg zwischen Hutu und Tutsi

Die Rebellen im Ostkongo haben in ihrem Machtbereich für relative Sicherheit gesorgt. Wenn die Regierung in Kinshasa den Krieg beenden will, muss sie mit ihnen verhandeln.

Martin Doevenspeck, 40, lehrt am Geographischen Institut der Uni Bayreuth. Derzeit arbeitet er an einem Projekt in der kongolesisch-ruandischen Grenzregion am Kivusee und reist dafür auch in die von den Rebellen kontrollierten Gebiete.

Der Krieg im Ostkongo wird im Ausland gern auf eine Art und Weise interpretiert, die lieb gewonnenen Klischees über die Konflikte in diesem Teil Afrikas entspricht: Hutu kämpfen gegen Tutsi, es geht um die Ausbeutung der Bodenschätze, und alles wird von Ruanda ferngesteuert. Doch die Realität ist komplizierter. Angesichts der aktuellen Bilder von Krieg und den vielen Flüchtlingen wird leicht vergessen, dass die Rebellenbewegung CNDP (Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes) schon seit 2006 weite Teile der kongolesischen Provinz Nordkivu militärisch kontrolliert - und mit Erfolg zivil verwaltet.

Seit die Rebellen in der Region südlich der Distrikthauptstadt Rutshuru 2007 die Macht übernommen haben, funktionieren dort das Schulwesen, die tierärztliche Beratung der Bauern, die lokale Justiz und die öffentliche Verwaltung besser als im Einflussbereich der Regierung nebenan. Die Polizei nimmt ihre Aufgaben wahr, Zollbeamte managen in der Stadt Bunagana die Staatsgrenze zu Uganda. Unter der Herrschaft der Rebellen haben die Bauern der Region - zu 90 Prozent Hutu - in diesem Jahr die beste Ernte seit langem eingefahren, denn sie blieben unbehelligt von Übergriffen der kongolesischen Armee und der Hutu-Milizen der FDLR aus Ruanda, die für den Völkermord von 1994 verantwortlich sind. Zudem haben die Rebellen im Ostkongo eine Reihe von Steuern und Abgaben drastisch reduziert oder ganz abgeschafft.

Nachdem die Rebellen im Ostkongo anfangs selbst schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben, werden Übergriffe von Uniformierten auf die Zivilbevölkerung heute drakonisch bestraft. Das sorgt, mitten im Krieg, für einzelne Inseln der Sicherheit. Der Grund für diese positive Entwicklung liegt auf der Hand: Anders als viele der Milizen, die in Nordkivu operieren, begreift der CNDP die Zivilbevölkerung nicht als Feind, den man ausplündern kann. Stattdessen will er die Leute auf seine Seite ziehen.

Klar ist, dass es nach Jahren des Krieges und der alltäglichen Unsicherheit nicht viel braucht, um die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen. Dazu genügt es, den Alltag wieder berechenbarer zu machen und so die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Menschen im Ostkongo ihren Lebensunterhalt eigenständig bestreiten können. Das heißt freilich nicht, dass diese deshalb gleich alle politischen Ziele der Rebellen teilen.

Die Rebellen in den CNDP-Gebieten bieten Stabilität, weil es ihnen gelungen ist, ein Gewaltmonopol zu etablieren: im heutigen Kongo eine Seltenheit. Insofern gibt es in den von ihnen kontrollierten Gebieten auch keine marodieren Regierungssoldaten oder Milizen. Genau aber diese von den Rebellen garantierte Sicherheit stellt - zusammen mit einer funktionierenden Verwaltung - die eigentliche Gefahr für die Regierung in Kinshasa dar. Ob die Rebellen in der Lage sein werden, auch in den neu eroberten Gebieten eine ähnlich stabile Ordnung aufzubauen und der Bevölkerung ihre Ziele zu vermitteln, bleibt allerdings abzuwarten.

Als Grund für den Krieg im Kongo wird gerne der historische Konflikt zwischen den "Ethnien" Hutu und Tutsi ins Feld geführt; die Rebellenbewegung wird häufig als "Tutsi-Bewegung" etikettiert. Doch der CNDP ist ethnisch gemischt. Zwar setzt sich die militärische Führung hauptsächlich aus kongolesischen Tutsi-Offizieren zusammen. Aber in den unteren Rängen finden sich kongolesische Tutsi und Hutu sowie kleinere Gruppen von Bashi, Hunde und Nande. Auch der politische Arm der Bewegung ist heterogen. So finden sich in ihren Leitungsgremien viele Funktionäre, die Gründungsmitglieder der seit 2002 entstandenen zivilgesellschaftlichen Gruppen sind und mehrheitlich der Ethnie der Bashi angehören.

Auch die politischen Forderungen des CNDP zielen keineswegs nur darauf, Tutsis besserzustellen. Auf nationaler Ebene treten die Rebellen beispielweise für Föderalismus im Kongo ein und fordern mehr Transparenz in der Frage, wie internationale Finanzhilfen verwendet werden. Auf regionaler Ebene wollen sie den kongolesischen Tutsi ermöglichen, aus den Flüchtlingslagern in Ruanda zurückzukehren. Die ruandischen Hutu-Milizen der FDLR sollen entwaffnet werden. Auch hierbei geht es nicht um eine simple Konfrontation zwischen Hutu und Tutsi, sondern um einen Machtkampf zwischen der aus Ruanda stammenden FDLR und dem kongolesischen CNDP.

Auch der Mineralienhandel im Ostkongo kann den Krieg dort nur zum Teil erklären. Jetzt, da sich die Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt im freien Fall befinden, wird sich zeigen, dass die Kämpfe auch ohne diese lukrativen Einnahmen weitergehen. Ganz einfach weil Mineralien zwar - besonders für die Hutu-Milizen der FDLR - eine wichtige Einnahmequelle darstellen, aber eben längst nicht die einzige und lukrativste.

Kongos Regierung in Kinshasa hat sich bei der Interpretation des Krieges und der Suche nach internationalen Verbündeten auf den Erzfeind Ruanda festgelegt. Ruandas Einfluss müsse weitgehend zurückgedrängt werden, wolle man in der ostkongolesischen Region Kivu Frieden schaffen, heißt es immer wieder. Nach zwei Einmärschen der ruandischen Armee im Kongo in den 1990er-Jahren ist diese Haltung psychologisch nachvollziehbar. Aber zu glauben, der Rebellenführer Laurent Nkunda sei lediglich eine Marionette des ruandischen Präsidenten Paul Kagame ist naiv, unprofessionell und hat katastrophale Folgen für die Zivilbevölkerung. Denn die Kämpfe gehen ja auch nach den Verhandlungen zwischen Kagame und Kabila in Nairobi weiter. Und wie UNO-Beobachter vor Ort bestätigen, benötigen die Rebellen im Ostkongo längst keine Waffen mehr aus Ruanda oder von sonstigen Unterstützern: Das Kriegsgerät der kongolesischen Regierungsarmee, mit internationalen Hilfsgeldern in China und der Ukraine gekauft, landet nach jeder verlorenen Schlacht mit schöner Regelmäßigkeit beim CNDP.

Andererseits ist es kein Geheimnis, dass Ruandas Präsident Kagame manche Ziele der Rebellen im Ostkongo unterstützt und viele der höheren Militärränge einst in Ruandas Armee dienten und deshalb bis heute über gute Kontakte zum ruandischen Militär verfügen. Dass eine unbekannte Zahl der CNDP-Rebellen aus demobilisierten Kombattanten der ruandischen Armee besteht, ist ebenfalls kein Geheimnis. Außerdem rekrutiert der CNDP seine Soldaten sowie sein ziviles Personal unter anderem in der kongolesischen Tutsi-Diaspora in Ruanda, Uganda oder Tansania, während Exilkongolesen maßgeblich zur Finanzierung der Rebellenorganisation beitragen.

All diese Faktoren ändern aber nichts daran, dass der kongolesische Präsident Joseph Kabila den CNDP dringend als eigenständige politische Macht anerkennen und in direkte Verhandlungen mit dessen Führung treten muss. Anders lassen sich weder die Kämpfe noch das Flüchtlingsdrama im Ostkongo beenden.

MARTIN DOEVENSPECK

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