Debatte Bankwesen: Die sanfte Wandlung der CDU

Zur Finanzkrise fällt der CDU wenig ein. Doch die Schwäche der Partei ist die Stärke von Angela Merkel. Weiterhin nimmt sie dem einst harten Konservatismus die Kanten.

Wenn sich die CDU am Montag und Dienstag in Stuttgart zu ihrem Bundesparteitag trifft, lässt sich die Verunsicherung schon an der Tagesordnung ablesen. Eigentlich wollte die Parteiführung die Delegierten mit Themen wie Bildung, Umweltschutz und Ostdeutschland beschäftigen, damit zum Auftakt des Wahljahres den sanften Mittekurs zementieren und zugleich einen Personenwahlkampf für die ostdeutsche Exumweltministerin im Kanzleramt vorbereiten.

Nur widerwillig passte die Führung ihre Parteitagsregie den neuen Umständen der Finanz- und Wirtschaftskrise an. Dass sie um Aussagen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht herumkommen würde, merkte sie schon im Sommer. Stück für Stück wurde der geplante Leitantrag dann dem Finanzcrash angepasst. Herausgekommen sind überwiegend Plattitüden. Das Leitbild des "ehrbaren Kaufmanns" wollen die Christdemokraten jetzt aufleben lassen.

Vor allem aber wird der Begriff der "sozialen Marktwirtschaft" wieder nach vorne geschoben, den Merkel einst schon abschaffen wollte. Er hat den Vorteil, dass man je nach politischem Standpunkt beides hineininterpretieren kann - das Soziale oder den Markt. Für die praktische Politik im weiteren Verlauf der Finanzkrise lässt er alle Optionen offen.

Bemerkenswert geräuschlos hatte Parteichefin Angela Merkel in den ersten drei Jahren der großen Koalition das Gesicht der Partei verwandelt. Kita-Offensive und Betreuungsgeld, Integrationsgipfel und Islamkonferenz, Bildungsoffensive und Klimapolitik: Konsequent besetzte sie ausgerechnet jene Themen, die ihr SPD-Vorgänger in der Frühzeit seiner Kanzlerschaft als Gedöns abgetan hatte - auch wenn der Erfolg auf den Politikfeldern höchst unterschiedlich war.

In der Krise mehren sich die Zweifel. Hat die Kanzlerin zu sehr auf die vermeintlich weichen Themen gesetzt? Rangiert bei ihr, wie Merkel-Kritiker seit jeher argwöhnen, die Taktik zu sehr vor allen politischen Inhalten? Rächt es sich, dass sie nach der fast verlorenen Wahl 2005 über Wirtschafts- und Sozialpolitik am liebsten gar nicht mehr sprach? Kurzum: Ist sie der Krise überhaupt gewachsen?

Solche Einwürfe sind nicht frei von Machismo. In ihnen schwingt mit, dass Gesellschaftspolitik kein Thema ist für ernste Zeiten und eine Frau im Zweifel nicht die richtige Besetzung für die Krise. Manch ein Christdemokrat mag sich gar nach dem markanten Auftritt eines Peer Steinbrück sehnen.

Tatsächlich wirkte Merkel im Finanzcrash zeitweise unsicher und orientierungslos. Mal dramatisierte sie, um die Krise anschließend wieder zu verharmlosen. Erst die Härte der Kritik brachte sie diese Woche dazu, wieder Flagge zu zeigen - und in ihrem Bekenntnis zu "Maß und Mitte" zu erklären, warum auch eine schwere Wirtschaftskrise alle übrigen Themen noch längst nicht obsolet macht.

Tatsächlich hat die CDU ihre Identität seit dem Regierungsantritt 2005 mindestens so sehr verändert wie die SPD durch die Kanzlerschaft Gerhard Schröders nach 1998. Wie einst bei den Sozialdemokraten, sind auch in der christdemokratischen Volkspartei die Bataillone der Tradition nicht begeistert. Wenn Merkel auf Parteiveranstaltungen auftritt, bleibt trotz allem Beifall für die erfolgreiche Kanzlerin stets ein Rest von Distanz. Gegen die angebliche Sozialdemokratisierung der Partei regt sich wachsender Widerstand beim Wirtschaftsflügel - der kurioserweise jetzt in der Krise, im Gegensatz zu allen früheren Bekenntnissen, nach massiver Staatsintervention ruft.

Dass es die CDU dabei nicht zerriss, liegt nicht nur am größeren Machtpragmatismus des Konservativen oder am Fehlen einer bundesweiten Konkurrenzpartei am rechten Rand. Es liegt auch daran, dass sich das Land verändert hat. Das Weltbild der CDU-Mittelständler - wirtschaftspolitisch liberal, gesellschaftspolitisch konservativ - ist in dieser Kombination nur noch bei einer schrumpfenden Wählergruppe anzutreffen. Wer heute betont konservativen Werten anhängt, ist zumeist auch ökonomisch auf Sicherheit orientiert. Wer dagegen finanziell auf der Gewinnerseite steht, hat auch nichts gegen Doppelpass oder Homo-Ehe einzuwenden.

Bei Union und SPD geht der Graben zwischen diesen zwei Kulturen mitten durch die eigene Partei. Der SPD hat das bislang mehr geschadet als der CDU. Der Grund dafür liegt auch in der besonderen Konstellation einer großen Koalition - und darin, wie sich Merkel deren Mechanismen zunutze macht.

Innerparteiliche Kritik am eigenen politischen Kurs leitet die CDU-Vorsitzende gewohnheitsmäßig auf die Sozialdemokraten ab. Im Streit um rasche Steuersenkungen, der auf dem Parteitag im Zentrum der Debatten stehen wird, lautet das zentrale Argument: Mit der SPD ist das vor der Wahl ohnehin nicht machbar.

Man fragt sich, ob eine Kanzlerschaft Merkels ohne die SPD überhaupt funktionieren könnte. Natürlich muss die Vorsitzende im Wahlkampf die FDP zum Wunschpartner erklären, sonst könnte sie die eigene Basis nicht mobilisieren. Natürlich wäre ein herausragendes CDU-Ergebnis auch ein persönlicher Triumph.

Aber danach? Der Druck zu wirtschaftsliberalen Reformen würde wachsen - was mit Blick auf künftige Wahlen aber dem politischen Selbstmord gleichkäme. Merkel hätte das halbe Parlament, die halbe Bevölkerung in scharfer Polarisierung gegen sich, und das in Zeiten einer wirtschaftlichen Krise, die wenig populäre Maßnahmen erfordern wird. Es wäre ein Szenario ganz ähnlich wie für Gerhard Schröder nach dem unverhofften zweiten Wahlsieg 2002.

So wiederholt sich eine Konstellation, die Merkels Aufstieg seit dem Ende der Kohl-Ära begleitet: Die Schwäche der CDU ist die Stärke ihrer Vorsitzenden. Damit Merkel im nächsten Jahr Kanzlerin bleiben kann, kommt es nur auf zwei Dinge an: Die Union muss am Wahlabend stärker sein als die SPD, außerdem dürfen FDP und Grüne nicht gemeinsam ins gegnerische Lager überlaufen. Für Letzteres wäre ein betont konservativer Kurs eher schädlich, für Ersteres reicht selbst ein denkbar bescheidenes Wahlergebnis aus.

Das erklärt auch die stille Genugtuung, mit der Merkel zuletzt den Niedergang ihrer unionsinternen Gegner zu verfolgen schien - trotz der damit verbundenen Stimmenverluste. Erst die verpatzte Filbinger-Gedenkrede des Schwaben Günther Oettinger, der seither treu an der Seite der Kanzlerin steht. Dann die missglückte Wahlkampagne Roland Kochs. Schließlich der Verlust der CSU-Alleinherrschaft in Bayern.

Kochs Wiederaufstieg verschiebt die Gewichte. Kurz vor der hessischen Landtagswahl werden sich die Ministerpräsidenten stützen, nicht stürzen. Das Massaker von Dresden, als sich Koch, Jürgen Rüttgers und Christian Wulff bei den Gremienwahlen gegenseitig bekriegten, wird sich in Stuttgart nicht wiederholen. Mit einer strategischen Alternative ist das nicht verbunden. Die Regie des Wahljahres zu erschüttern, das vermag nur eine: die Krise.

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