Ossietzky-Preisträger zur israelischen Mauer: "Wir leben von Intifada zu Intifada"

Das Komitee des palästinensischen Dorfes Billin und Israels "Anarchists against the Wall" kämpfen gewaltlos gegen die Mauer. Am Sonntag erhalten sie in Berlin die Ossietzky-Medaille.

Ein israelischer Soldat hät einen Palästinenser auf, der in das abgeschnitte Dorf Billin möchte. Bild: dpa

taz: Herr Khatib, vor vier Jahren haben Sie eine gewaltlose Initiative ins Leben gerufen gegen Israels Trennmauer, die Ihr Dorf Billin zerschneidet. Was haben Sie bisher erreicht?

Mohammed Khatib: Wir demonstrieren nicht nur gegen die Mauer, sondern auch gegen jüdische Siedlungen, die auf unserem Land gebaut werden. Unser größter Erfolg bislang ist, dass Israels Oberster Gerichtshof entschieden hat, dass der Verlauf der Mauer verändert werden muss. Vorläufig ist das Urteil allerdings noch nicht umgesetzt worden.

Wären Sie zufrieden, wenn das Urteil umgesetzt wird?

Mohammed Khatib: Nicht ganz. Auch nach einer Verlegung der Mauer würden noch rund 1.000 Hektar unseres Landes auf der anderen Seite der Mauer bleiben. Immerhin haben wir es geschafft, den Bau der Siedlung Modein Elit auf unserem Land zu stoppen. Bevor es die Trennanlagen gab und bevor die Regierung den Bau genehmigt hatte, waren hier schon rund 600 bis 700 Wohnungen errichtet worden. Leider hat das Gericht diese illegal geschaffenen Fakten akzeptiert - es ist bislang nur ein einziges Haus abgerissen worden.

Frau Vardi, auch die "Anarchisten gegen die Mauer" werden am Sonntag in Berlin mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet. Seit wann gibt es die Gruppe?

Sahar Vardi: Wir haben uns vor fünf Jahren zusammengefunden, um auf den israelischen Bau der Mauer und Trennanlagen zu reagieren. Wir sind viele Leute mit vielen Meinungen, wir haben kein gemeinsames Programm. Was uns eint, ist der Protest gegen die Mauer - das ist für uns eine moralische Pflicht. Wir sind froh, dass unserem Kampf jetzt eine solche Anerkennung widerfährt.

Nach dem Bau von Mauer und Trennanlagen ist die Zahl der Terroranschläge in Israel zurückgegangen. Rechtfertigt dieser Erfolg nicht den Bau?

Sahar Vardi: Ich weiß nicht, wie die anderen Anarchisten darüber denken, und spreche nur für mich. Aber ich bin davon überzeugt, dass die Mauer nicht nur die Palästinenser verletzt, sondern letztlich auch die Israelis. Terror ist ein Symptom. Man weiß, dass jede neue Form der Unterdrückung die Gefahr neuer Anschläge vergrößert und zusätzlich Terroristen motiviert. Die Mauer wird damit zu einem neuen Element im Teufelskreis der Gewalt - sie bietet keine Lösung, um Gewalt zu verhindern. Wer einen Anschlag plant, findet immer einen Weg, ob mit oder ohne Trennanlagen. Wer die israelische Gesellschaft schützen will, muss die Unterdrückung der Palästinenser beenden.

Wie erklären Sie sich dann, dass die Zahl der Anschläge spürbar zurückgegangen ist?

Die zwölfjährige Sahar Vardi auf einer Friedensdemonstration in Jerusalem im März 2002. Bild: ap

Sahar Vardi: Die Lage hatte sich schon beruhigt, bevor die Trennanlagen fertig gestellt waren. Es lässt sich daher nur schwer sagen, ob die Mauer neue Terroranschläge verhindert hat - und wenn ja, wie viele. Fest steht, dass die Mauer die nächste Generation von Terroristen hervorbringen wird. Wir leben von Intifada zu Intifada. Es ist sicher, dass es eine neue Generation geben wird. Außerdem, selbst wenn die Trennanlagen ihr Ziel erreicht haben sollten: Als Menschen, als Israelis und als Staat dürfen wir nicht einfach die Rechte anderer Menschen beschneiden.

Herr Khatib, warum setzen die meisten Palästinenser bei ihrem Widerstand weiter auf die Gewalt?

Mohammed Khatib: Es gibt inzwischen immer mehr Dörfer, die unserem Beispiel folgen. Wir haben mit der Abkehr von der Gewalt angefangen und neue Wege gesucht, um uns durch die rechtlichen Instanzen zu klagen. Auch in Naalin und südlich von Bethlehem finden seit einer Weile regelmäßig gewaltlose Demonstrationen statt.

Was planen Sie als Nächstes?

Mohammed Khatib: Wir sind vor ein kanadisches Gericht gezogen, damit zwei Unternehmen, die in der Siedlung Modein Elit neue Häuser bauen, der Prozess gemacht wird. Bei den beiden Firmen handelt es sich um kanadische Bauunternehmen, und der Siedlungsbau verstößt gegen internationales Recht. Die erste Anhörung ist am 6. Januar.

Der Oberste Gerichtshof in Jerusalem hat immer wieder Urteile zum Verlauf der Mauer gefällt. Bringt der Weg durch die Instanzen nicht mehr, als jede Woche zu demonstrieren?

Sahar Vardi: Sinnvoll ist eine Kombination. Wenn wir mit unseren Protesten in die Presse kommen, beeinflusst das schließlich auch die Richter. Außerdem wissen wir, dass die Urteile des Gerichts nicht immer umgesetzt werden. Auch in Bilin hätte die Route verändert werden müssen. Nur passiert ist leider noch nichts.

Herr Khatib, in Bilin eskalieren die Demonstrationen in letzter Zeit häufiger, als das zu Beginn der Proteste der Fall war. Wie kommt das?

Mohammed Khatib: Wir rufen immer wieder zur kompletten Gewaltlosigkeit auf. Aber wenn die Soldaten mit Tränengas und Gummigeschossen auf uns schießen, reagieren manche Jugendliche trotzdem mit Steinewürfen. Die Soldaten sind viel zu weit weg, als dass die Steine ihnen gefährlich werden könnten. Für die Palästinenser sind die Steine ein Zeichen ihrer Wut. Bevor die Mauer stand, hatten wir mehr Möglichkeiten. Wir haben uns vor die Bulldozer gesetzt und hatten das Gefühl, tatsächlich etwas bewirken zu können. Heute geht das nicht mehr. Die Soldaten stehen auf der anderen Seite der Trennanlagen und fangen an zu schießen, bevor wir überhaupt in ihre Nähe kommen.

Angenommen, Israel hätte Mauer und Trennanlagen auf der Waffenstillstandslinie von 1967 errichtet. Würden Sie auch dann noch dagegen kämpfen?

Mohammed Khatib: Ich kann mir gut vorstellen, mit den Israelis, die an Frieden und Gerechtigkeit glauben, zusammenzuleben. Wir wollen keine Mauern. Aber wenn sie, die Israelis, sagen, dass die Mauer gut für sie ist - okay, dann sollen sie sie auf ihrem eigenen Land bauen, nicht in unserem Dorf. Wir wollen hier nicht von Mauern umgeben sein.

Sahar Vardi: Ich bin gegen jede Trennung. Sie erklärt den Hass und dass wir uns nicht kennen.

Herr Khatib, wie hat die Zusammenarbeit mit israelischen Friedensaktivisten Ihr Bild von Israel verändert?

Mohammed Khatib: Völlig - und das gilt nicht nur für mich, sondern für alle Leute im Dorf. Ein Israeli, das war für uns früher ein Soldat und Besatzer. Aber jetzt kommen Israelis zu uns und helfen uns, unsere Rechte zu verteidigen. Genau wie wir werden auch sie verletzt und verhaftet. Diese Israelis sitzen nicht zu Hause und reden nur über den Frieden - sie tun etwas dafür. Mit diesen Israelis funktioniert die friedliche Koexistenz. Denn sie glauben an unsere Rechte genauso wie wir an die ihren.

Frau Vardi, Sie haben im Sommer Abitur gemacht und müssten jetzt Ihren Militärdienst leisten. Warum tragen Sie keine Uniform?

Sahar Vardi: Ich habe den Dienst verweigert und gehe dafür ins Gefängnis. Alle drei Wochen werde ich aufs Neue verurteilt. Wenn ich Glück habe, wird mich ein Armeepsychologe beim nächsten Mal für psychisch untauglich erklären. Dann könnte ich einfach nach Hause gehen und mein Leben weiterleben. Vielleicht stufen sie mich auch als "nicht für die Armee geeignet" ein oder lassen mich aufgrund von "Fehlverhalten" gehen. Früher oder später wird es dazu kommen. Denn die Armee vergeudet nicht gern ihre Zeit mit Verweigerern.

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