Debatte Ein Investmentbanker erzählt: Aus dem Leben eines Habenichts

Ein Banker zum Freund zu haben, kann sehr hilfreich sein. Man lernt, wie riskant Anleihen und Wertpapiere sein können. Ein Bericht aus dem Inneren der Finanzkrise.

Einen Investmentbanker zum Freund zu haben, kann durchaus von Nutzen sein. Man lernt, wie moralisch fragwürdig und überaus riskant viele Aktien und Anleihen sein können, und man erfährt, wie es sich anfühlt, im Bauch des Monsters namens Finanzmarkt zuerst die wundersame Vermehrung der Profite und dann die noch wundersamere Auflösung der Geldwerte erlebt zu haben. Ich habe meinen Freund zu einem Gespräch gebeten und einfach nur mitgeschrieben:

Niemand in meiner Industrie hätte vorhersehen können, wie schlimm es werden würde. Auch wenn viele von uns seit einiger Zeit, so etwa seit Anfang des Jahres, auf fallende Tendenz eingestellt waren.

Meine Gefühle sind zwiespältig - einerseits haben die Banken zusammen mit den rating agencies (vorgeblich unabhängige Beurteiler der Bonität von Wertpapieren, A. d. A.) eine Menge toxischer Produkte an den Investor gebracht, die diese niemals hätten kaufen dürfen. Verrückterweise war ein Verkaufsargument für viele Derivate, dass der Käufer fast alles verlieren konnte. Sie haben gekauft, weil sie ihre eigenen Bilanzen dadurch ins Unermessliche aufplustern konnten.

Andererseits waren alle - im Westen zumindest - an der Kreditblase beteiligt: überschuldete Hauseigentümer; all jene, die 100-prozentige Kredite aufgenommen haben, um in Immobilien zu spekulieren; jeder, der tagein, tagaus zu hohe Kreditkartenrechnungen auflaufen lässt; jeder, der jedes Jahr ein neues Auto auf Pump kauft; eigentlich jeder, der über seine Verhältnisse gelebt hat, und das gilt für Konzerne ebenso wie für Privatpersonen. Letztlich ist alles eine Folge von Gier und Kurzsichtigkeit und einem System, das Verschuldung ermutigt hat. Dazu kommt das völlige Versagen der Regierungsaufsicht in den USA und Großbritannien.

Das Menetekel an der Wand war klar zu sehen, viele von uns waren skeptisch über die immer ausgefalleneren Wertpapiere aus den Laboratorien der Wall Street, bizarre und komplexe Konstruktionen aus den Abteilungen "strukturierte Kredite". Die haben massive Gewinne eingefahren, aber keiner außerhalb des inneren Kreises begriff, wie sie wirklich funktionierten. Es war Geheimwissen. Ich weiß noch, wie ich im Jahre 2000 einen erfahrenen Kollegen bat, sie mir zu erklären, und er sagte wortwörtlich: "Nun, wir machen Hühnerscheiße zu Hühnersandwich." Kolossale Berge von Hühnerscheiße.

Genauer kann man es nicht sagen. Und jeder, der ein wenig Ahnung hatte, wusste, dass mit Sachen gehandelt wurde, die niemals für den offenen Handel bestimmt waren. Mit anderen Worten, sie waren "buy and hold"-Instrumente. Wenn du sie verkaufen musstest, warst du der Gelinkte. Wenn viele Leute sie auf einmal verkaufen müssen - nun, keiner hat sich das vorgestellt, und jetzt müssen wir es uns nicht mehr vorstellen.

Die Produkte waren überschuldet und an sich schon sehr riskant. Jetzt stelle dir vor, dass das Kreditfundament darunter ein Erdbeben erleidet und alles beginnt zu wackeln. Es ist so, als würdest du einen VW Golf verkaufen, der so schnell fährt wie ein Ferrari, aber keine Sitzgurte hat. Dann regnet es, die Straße ist nass und es stellt sich heraus, dass dein Chassis aus Teilen vom Schrottplatz zusammengeschweißt ist. Du sitzt in einer Todesfalle. So war es mit den Subprime-Hypothekenkrediten in den USA.

Vor dieser Krise haben wir bei solchen Autounfällen oft zugeschaut und gut daran verdient. Gewaltige Summen sind durch Derivate schon futschgegangen. Milliarden. Jetzt saßen wir auf einmal in dem Auto drin und es raste in einem Wahnsinnstempo auf die Wand zu. Nicht nur das. Unsere wichtigsten Kunden, die Hedgefonds, crashten auch. Lehman war ein fetter Spieler im Prime Brokerage (die Provision bei Dienstleistungen für Hedgefonds, A. d. A.). Und viele der Fonds haben es nicht geschafft, ihr Geld rechtzeitig rauszuholen. Keiner wusste, was seine Wertpapiere bei Lehman Brothers noch wert waren. Was für ein Durcheinander, es war nicht zu fassen. Und wir haben es immer noch nicht im Griff, überhaupt noch nicht.

Natürlich hätten die Leute es besser wissen müssen. Nimm Merrill Lynch als Beispiel. Angeführt von inkompetenten Managern, haben sie beschlossen, ganz groß in das Spiel mit strukturierten Krediten einzusteigen. Also holten sie die besten Jungs, die zu haben waren. Eine kleine Armee. Lockten sie mit schwindelerregenden Garantieversprechen. Die machten sich gleich an die Arbeit, produzierten toxische Produkte am Fließband, und innerhalb weniger Jahre war Merrill Lynch einer der zwei führenden Spieler in diesem Bereich.

So weit, so gut. Aber die Jungs hatten bei vielen Deals die riskantesten Tranchen bei sich behalten. Fast 70 Milliarden an Wert, um genau zu sein. Niemand im Management hat darüber nachgedacht, was für Risiken die Firma dadurch auf sich nahm. Vielleicht wollten sie nicht zugeben, dass sie nicht den blassesten Schimmer hatten, wie diese Produkte funktionierten, geschweige denn, wie man sie analysiert und ihre hochkomplexen Risiken beziffert.

In Deutschland war die Industriekreditbank eines der Opfer der Implosion strukturierter Kredite. Es war in London allgemein bekannt, dass man ihnen alles andrehen konnte, was nur exotisch und groß genug war. Als Kunde waren sie ein feuchter Traum für jeden Verkäufer. Keiner hat jemals gefragt, wieso eine Bank mit dem klaren Mandat, deutschen Mittelstandsfirmen Kredite zu gewähren, so viele strukturierte Kredite auf ihre Bilanzen lud.

Persönlich bin ich froh, noch einen Job zu haben. Es wird übersehen, dass bei uns mehr Leute arbeitslos geworden sind als sonst wo - schon 150.000 allein in London. Wir können sowieso jederzeit gefeuert werden. Wir verdienen viel, doch wir können morgen draußen sein.

Der Professionalismus der Leute hat mich beeindruckt. Jeder geht seinen täglichen Aufgaben ruhig nach, obwohl viele erleben mussten, wie sich ihr Privatvermögen in Luft aufgelöst hat. Unsere Bonusse wurden zu 30 bis 50 Prozent in Aktien ausbezahlt, die man einige Jahre lang nicht verkaufen durfte, und auch danach haben viele nicht verkauft (dumm, ich weiß, richtig dumm), und diese Aktien haben an manchen Tagen ein Drittel ihres Wertes verloren. Und im Gegensatz zu Menschen in anderen Berufen siehst du es vor deinen eigenen Augen, die Zahlen, die dich verarmen lassen, flimmern den ganzen Tag vor deinen Augen.

Die Leute in dieser Industrie sind kaltblütig. Es wird viel geflucht und geschrien, aber nie gejammert. Der Ton bei uns ist kriegerisch. Legendär ist der Spruch von John Mack, der jetzt Morgan Stanley vorsteht. "Theres blood in the water. Lets go kill someone." (Es ist Blut im Wasser. Lasst uns jemanden erlegen.)

Der Kopf unserer Abteilung schickte einen Ausschnitt aus dem Film "Any Given Sunday" an uns alle. Es fühlte sich an wie Krieg, und uns umgab ein phänomenales Gefühl der Solidarität.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.