Kommentar Leitzinssenkung: Schöne Zeiten für Spekulanten

Die Europäische Zentralbank muss der US-Notenbank mit der Senkung des Leitzinses folgen. Doch die Zentralbanken sind weitgehend machtlos.

Auch in Deutschland werden die Leitzinsen so tief fallen wie noch nie. Die Europäische Zentralbank wird gar nicht umhinkommen, der US-Notenbank zu folgen, die inzwischen bei fast null Prozent Zinsen angelangt ist. Denn auch wenn sich die Zentralbank in Frankfurt gerne als mächtige Hüterin eines starken Euro inszeniert: Eine Autonomie in der Geldpolitik gibt es nicht. Tatsächlich ist eine Zinsdifferenz von fast 2,5 Prozent zwischen den USA und Europa nicht lange durchzuhalten - dafür sorgen schon die Spekulanten.

Es wäre nämlich ein Irrtum, zu glauben, dass in dieser globalen Rezession überhaupt keine Spekulation mehr möglich ist. Zumindest die Zins- und Devisenspekulation hat deutlichen Auftrieb. Eine Variante ist der Carry Trade, der gezielt die Zinsdifferenz zwischen zwei Währungsräumen ausnutzt. Aktuell ist es für Anleger günstig, sich zu Niedrigstzinsen Dollar zu leihen und diese dann in Euro umzutauschen, um sie, besser verzinst, im Euroraum anzulegen. Das besonders Tolle an diesem Trick: Der Spekulant kassiert nicht nur die Zinsdifferenz. Gleichzeitig kann er begründet hoffen, dass auch noch der Euro steigt, sich die Dollarschulden also am Ende zum Teil selbst bezahlen. Je mehr Anleger diesen Carry Trade betreiben, desto schwächer wird der Dollar. Das Nachsehen haben die europäischen Exporteure, deren Waren automatisch immer teurer werden.

Doch nicht nur die Spekulation wird Europas Zentralbank zum Handeln zwingen. Immer klarer wird, dass die Welt auf eine ungewöhnlich schwere Wirtschaftskrise zutreibt, die ebenso ungewöhnliche Maßnahmen verlangt. Die Zentralbank wird daher ihre Geldschleusen weit öffnen. Aber ob das wirklich hilft? Pessimismus ist angebracht, denn bisher hat keine Zinssenkung die Wirtschaft belebt. Zudem ist eine absolute Grenze in Sicht: Unter 0,0 Prozent können Zinsen nicht fallen.

Die scheinbar so mächtigen Zentralbanken sind also weitgehend machtlos. Dieses Vakuum können nur noch die Regierungen füllen, indem sie mit Konjunkturpaketen gezielt die Nachfrage stützen. Doch Kanzlerin Merkel lässt einfach nur die Zeit verstreichen. Und so jemand will wiedergewählt werden.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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