Debatte Mannichl-Vorfall: Normalität und Abweichung

Das Attentat auf den Passauer Polizeidirektors Mannichl wird vielleicht nie aufgeklärt. Kein Grund, sich mit Gewalt von Rechtsextremen abzufinden.

Der Fall Mannichl beschäftigt auch nach fünf Wochen weiterhin die Gemüter, gerade weil man nichts Genaues weiß. Wir erinnern uns: Im Dezember wurde der Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl in seinem Vorgarten schwer verletzt aufgefunden. Er gab an, ein Mann habe ihn mit den Worten "Schöne Grüße vom nationalen Widerstand" niedergestochen. Mannichl hatte Glück im Unglück: Die Klinge hatte keines seiner lebenswichtigen Organe verletzt, nach einigen Tagen konnte er bereits das Krankenhaus verlassen.

Hatte also ein Neonazi versucht, einen aufrechten Kämpfer gegen rechtsradikale Umtriebe zu töten? Als ein solcher war Mannichl ja bekannt. Der Fall schien klar. Ganz Bayern, ja ganz Deutschland empörte sich, es wurde demonstriert, und selbst jene CSU-Granden, die sich bislang mit der dezidierten Verurteilung von rechtsradikalen Anschlägen auffällig zurückgehalten haben, forderten harte Maßnahmen und ein schnelles Verbot der NPD.

Rasch allerdings stellten sich Zweifel an der zunächst verbreiteten Version des Tathergangs ein, denn das Messer, mit dem Mannichl niedergestochen wurde, stammte aus seinem Haushalt. Die Angabe, das Messer sei im Garten des Hauses gelegen, klang fadenscheinig und wurde von offizieller Seite mehrfach variiert. Auch fanden sich keine fremden Fingerabdrücke an der Klinge.

Zudem unterliefen den Ermittlern eine Reihe von Fehlern: Anfangs schenkte man einer wenig glaubwürdigen Zeugin Gehör, suchte nicht in alle Richtungen und schloss eine Beziehungstat zuerst kategorisch aus. So wurden weder alle Spuren verfolgt, noch kamen vorzeigbare Ergebnisse zustande. Inzwischen sagen einige Beamte hinter vorgehaltener Hand, dass der Fall wohl nie gelöst werde.

Was aber heißt das für alle jene, die gegen die Nazis protestiert haben? Und was heißt das für die NPD? Letztere ist aus dem Schneider: Da bislang kein Täter aus ihrem Umfeld oder aus einer der in und um Passau tätigen sogenannte Freien Kameradschaften benennbar ist, wird es wohl auch kein Nazi gewesen sein - dieser Eindruck wird sich verstärken, wenn der Fall unaufgeklärt bleibt. Lediglich entschiedene Antifaschisten werden es weiter als rechten Übergriff deuten.

Sollte es gar dazu kommen, dass der aufrechte Polizeidirektor Mannichl beschuldigt wird, gelogen zu haben, um etwa eine Beziehungstat zu verschleiern, müsste der Mann infolgedessen zurücktreten oder demissioniert werden. Dies wäre ein Triumph für die Rechten, die sich erneut als zu Unrecht verfolgte Unschuldslämmer in Szene setzen könnten. Für Antifaschisten und alle anderen politischen Gegner der NPD hingegen wäre dies geradezu eine Katastrophe: Wenn Mannichl einmal "gelogen" hätte, basierten dann nicht vielleicht auch all die zuvor von ihm erbrachten Ermittlungsergebnisse auf Lügen? Selbst wenn ein Großteil der Passauer dieser Argumentation denn doch nicht folgen würde: Bei einer unentschlossenen Minderheit könnte die NPD mit einer solchen Argumentation punkten. Kurzum: Es scheint, als spiele der "Fall Mannichl" der NPD-Klientel eher in die Hände, als dass er ihrem Ansehen schaden würde.

Das ist bedauerlich. Leider aber ist es völlig normal. Obschon Nazis, seien sie nun in NPD oder DVU organisiert oder nicht, allwöchentlich irgendwo einen "Ausländer", eine "Zecke" oder einen "Asozialen" verprügeln, obschon sie alljährlich Menschen lebensgefährlich verletzen oder töten, hat sich diese Gesellschaft offensichtlich mit den Taten abgefunden und arrangiert. Es gibt ein festes Verhaltensmuster, wie auf diese Taten zu reagieren ist: Man organisiert eine Lichterkette und Betroffenheitsbekundungen und sorgt sich um den Ruf des Ortes, in dem das Verbrechen stattfand, schließlich kehrt man zum Alltag zurück. Die kurzzeitig vielleicht sogar verschreckten "Nationalen" dürfen weitermachen wie zuvor und weiter an ihrem Projekt der "national befreiten Zonen" arbeiten.

Offensichtlich müssen erst kleine Kinder oder Autoritäten das Opfer sein, damit sich in dieser Gesellschaft ein größerer Protest gegen die Umtriebe der "Nationalen" regt. Handelt es sich dagegen um "Ausländer", "Zecken" oder "Asoziale", und seien sie noch so hilflos, so reicht das offenbar nicht, um eine breite Solidaritätsbewegung auszulösen. Fast scheint es deshalb, als teile die Mehrheit der Gesellschaft die Vorurteile, die die "Nationalen" diesen Menschen gegenüber pflegen, und man billige nur nicht die allzu rohen Methoden der Schläger.

Nur wenn es gegen Kinder oder Autoritäten geht, wird der Protest kurzzeitig etwas lauter. Als im Winter des Jahres 2000 der "Fall Sebnitz" die Medien beschäftigte, wurde bereits ein Verhaltensmuster vorgezeichnet, das auch im "Fall Mannichl" wieder deutlich wurde. Die Familie Kantelberg-Abdulla hatte einige eidesstattliche Versicherungen bekommen, dass ihr sechsjähriger Sohn im Juni 1997 aufgrund seiner Hautfarbe ermordet worden sei. Drei mutmaßliche Täter wurden daraufhin verhaftet, jedoch bald wieder freigelassen, die Polizei fand nicht genug Indizien für ein Tötungsdelikt. Johannes Rau reiste in die Stadt, und versicherte danach: "Sebnitz hat ein Lebensrecht wie alle anderen liebenswerten Städte auch."

Als sei das nicht absurd genug - denn niemand hatte Sebnitz abreißen wollen -, verurteilte der damalige Bundespräsident zudem die Medien dafür, dass sie die Mordthese für glaubwürdig befunden hatten. Dass alle einen solchen Mord für möglich gehalten hatten, ja dass die Familie des Toten nach den Berichten in der Presse wochenlang unter Polizeischutz gestellt werden musste, dass schließlich Filmteams ohne große Mühe Jugendliche finden konnten, die ihnen den Hitlergruß entboten, war sofort vergessen, nachdem der "Fall" kein "Fall" mehr war.

Ähnlich wird es nun in Passau passieren. Auch hier sind Stärkedemonstrationen der Nazis bereits wieder möglich - am 3. Januar zogen 200 Rechtsextreme durch die Stadt, denen sich rund tausend Gegendemonstranten entgegenstellten. Das ist nicht gerade der "Aufschrei" der Bevölkerung, von dem zuvor zu lesen war. Muss also erst tatsächlich und unleugbar ein Kind oder eine Autorität getötet werden, damit mehr gegen den Rechtsextremismus unternommen wird?

In den nächsten Wochen jedenfalls wird sich die Bevölkerung von Passau von dem Makel, Rechtsextremisten zu beherbergen, freimachen, indem sie diese Szene und ihre Auftritte wieder tapfer ignoriert und den "Fall Mannichl" so oder so ad acta legt. Was nicht erwähnt wird, ist ja bekanntlich nicht da. Das allerdings, was nicht da sein darf, arbeitet dieweil munter im Verborgenen und im gar nicht so Verborgenen weiter.

Nicht nur in den neuen Ländern ist eben der parlamentarische Arm dieser nationalrevolutionären Bewegung, die NPD, eine ernst zu nehmende Größe. Dadurch, dass man sie ignoriert, wird man sie nicht zum Verschwinden bringen.

JÖRG SUNDERMEIER

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1970 in Gütersloh geboren, lebt in Berlin. Er betreibt mit Kristine Listau den Verbrecher Verlag (den er 1995 mit Werner Labisch gegründet hat) und ist Autor für diverse Zeitungen und Magazine. Er schrieb mehrere Bücher. Zuletzt „Die Sonnenallee" und „11 Berliner Friedhöfe, die man gesehen haben muss, bevor man stirbt".

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