Kommentar Wirtschaftskrise: Die Finanzblase lebt noch

Der DAX der Finanztitel sinkt - aber nicht so schlimm, wie man denken könnte. Die Börsen sind bei den Anlegern noch deutlich überbewertet.

Die Summen steigen, die in dieser Finanzkrise verloren werden. Die vorerst letzte Nachricht: Der amerikanische Versicherungskonzern AIG musste allein im vergangenen Quartal fast 62 Milliarden Dollar abschreiben. Damit toppt die US-Firma sogar noch die Royal Bank of Scotland, die 2008 ein Minus von rund 24 Milliarden Pfund einfuhr. Aber selbst diese gigantischen Verluste sind nur eine Momentaufnahme - es wird noch schlimmer kommen. Denn allein die Schotten sitzen noch immer auf toxischen Wertpapieren von mindestens 325 Milliarden Pfund. Bei der AIG wiederum ist gar nicht abzusehen, wie groß der Müllhaufen ist, der noch in der Bilanz lagert. Zudem gibt es ja noch die ganzen anderen Pleitekandidaten, man denke nur an die Citigroup.

Der renommierte Finanzexperte Nouriel Roubini, alias "Dr. Doom", hat kürzlich geschätzt, dass sich die Abschreibungen allein bei den US-Vermögenswerten auf mindestens 3,6 Billionen Dollar belaufen werden. Damit wäre dann auch das letzte Eigenkapital bei den Banken verbrannt.

Auf all diese schlechten Nachrichten reagierten die Börsen auf ihre Art: Am Montag fiel der deutsche Leitindex DAX weiter, wobei vor allem die Finanztitel verloren. Offenbar ist die Botschaft nun auch bei den Anlegern angekommen, dass mit Banken kaum noch Geschäft zu machen ist.

Trotzdem, und das gehört zu den Wundern dieser Finanzkrise, ist an den Börsen die Stimmung immer noch besser als die Lage. Der DAX steht nur so tief wie vor viereinhalb Jahren. Man erinnere sich also zurück an den Sommer 2004: Drohte da etwa auch eine Weltrezession? Oder eine Verstaatlichung der meisten Banken? Eben nicht. Stattdessen boomte die Weltwirtschaft.

Die Börsen sind noch deutlich überbewertet. Für diesen irrationalen Überschwang gibt es nur eine Erklärung: Ganz ist die gigantische Finanzblase noch nicht aufgestochen. Es scheint immer noch Anleger zu geben, die glauben wollen, dass sich Geld magisch vermehrt. Dieser Optimismus wird teuer. Denn die Börsen werden noch auf dramatische Talfahrt gehen.

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Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

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