Kommentar Schäuble-Streit: Wenn Karlsruhe zu oft beißt

Im aktuellen Streit mit Verfassungsgerichtspräsident Papier ist Schäuble im Unrecht. Doch Karlsruhe darf sich nicht als Zwischen-Gesetzgeber etablieren - auf Kosten der Politik.

Ist es nur ein Kleinkrieg zwischen zwei mächtigen Männern? Seit Jahren werfen sich Wolfgang Schäuble und Hans-Jürgen Papier, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Eingriffe in die Kompetenz des anderen vor und verlangen mehr Zurückhaltung in der Öffentlichkeit.

Beide übertreiben. Kritik an anderen Verfassungsorganen muss in der Demokratie zulässig sein. Demokratie lebt nun mal vom Diskurs. Warum soll der Innenminister nicht sagen dürfen, dass er manche Karlsruher Urteile exzessiv findet? Das haben wir doch eh gewusst. Warum soll ein Verfassungsrichter keine Interviews geben dürfen? Vor allem, wenn er darin sowieso nur die Urteile seines Gerichts in Erinnerung ruft?

Im konkreten Streit ist Schäuble im Unrecht. Das Verfassungsgericht kann dem Gesetzgeber durchaus vorschreiben, dass bestimmte Ermittlungsmethoden nur bei schwerer Kriminalität eingesetzt werden dürfen. Und Karlsruhe prüft die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Dürfte das Gericht dies nicht, wäre es zahnlos.

Unbehagen kann allerdings daraus entstehen, dass das Verfassungsgericht sich in der Kriminalpolitik inzwischen als eine Art Zwischen-Gesetzgeber etabliert hat. Fast jedes relevante Gesetz wird beanstandet und mit Korrekturwünschen zurückverwiesen.

Einerseits wird so der falsche Eindruck erweckt, als sei der Gesetzgeber in Bund und Ländern außer Rand und Band, wenn es um Fragen der inneren Sicherheit geht. Dabei sind Politik und Karlsruhe gar nicht weit auseinander. Zum anderen setzt sich das Verfassungsgericht immer mehr als Legitimationsinstanz an die Stelle der Parlamente. So entwickelt Karlsruhe seine eigene verläßliche Partnerschaft mit dem Sicherheitsapparat. Im Kern bekommt die Polizei am Ende, was sie will, doch zuvor bekommt der Gesetzgeber eins auf den Deckel. Das Gericht verbessert dabei seinen eigenen Ruf und beschädigt den der Politik. Das passt zur um sich greifenden Demokratieskepsis - und genau aus diesem Grund ist es bedenklich.

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Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).

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