WALTRAUD SCHWAB POLITIK VON UNTEN
: Zu spät. Nichts Neues. Sorry!

OFFENE BRIEFE KOMMEN NICHT AN, WENN SIE ZUM FALSCHEN ZEITPUNKT EINGEWORFEN WERDEN

Zweimal wurde ich diesen Mai von Leuten aus linken und feministischen Organisationen gefragt, warum ich als Journalistin nicht auf offene Briefe reagiere. Beide Male konnte ich nur mit „Aktualität“, „Neuigkeitswert“, „Relevanz“ und „so sind die Regeln“ antworten. Ich klang nicht souverän dabei.

Das erste Mal war es das Unterstützungskomitee für Emmely. Emmely ist die Verkäuferin, der gekündigt wurde, weil sie Getränkebons im Wert von 1,30 Euro zu ihren Gunsten abgerechnet haben soll. Die Leute vom Unterstützungskomitee schrieben an Außenminister Steinmeier und Wirtschaftsminister zu Guttenberg. Beide hatten sich – mit der Mehrheit der Bevölkerung – über die Kündigung empört. Die Briefeschreiber fragten die Politiker, warum sie politisch nichts unternehmen, um Bagatellkündigungen in Zukunft gesetzlich zu erschweren. Und dann fragten sie mich, warum ich den Brief ignorierte.

Chancenlos. Der Fall Emmely, das war Anfang des Jahres. Widerspruch und Eingabe beim Bundesverfassungsgericht sind eingereicht, es kann Jahre dauern, bis eine Entscheidung kommt. Nichts Neues also. Es sei denn, Emmely wirft einen Stein ins Fenster des Supermarktes. Dann berichten wir vielleicht.

Der zweite offene Brief kam von Frauen der Berliner Krisenberatung für vergewaltigte Frauen LARA. Sie luden Berlins Innensenator Ehrhart Körting ein, sich über ihre Arbeit mit vergewaltigten Frauen zu informieren. Körting hatte die Ausschreitungen am 1. Mai mit einer Massenvergewaltigung verglichen. „Das ist wie bei Sexualdelikten. Ist die Frau erst mal ausgezogen und vergewaltigt, dann fällt es anderen leichter, auch mitzumachen“, sagte er.

Die Frauen von LARA halten dem Politiker zu Recht vor, dass er damit die landläufige Meinung verbreitet, dass Vergewaltiger, sind sie erst einmal beim Vergewaltigen, zum Spielball ihrer Triebe werden. Der Innensenator – ein Männermythen tradierender Macho.

Der offene Brief hätte ein echter Coup sein können, wäre er nur bekannt geworden. Aber leider haben die Frauen von LARA eine Weile gebraucht, bis sie auf die Idee kamen, einen offenen Brief zu schreiben, bis sie ihn geschrieben und die Formulierung basisdemokratisch abgestimmt hatten. Da war der 1. Mai längst passé und das Thema für die Medien durch. Sorry.

■ Die Autorin ist Reporterin der taz Foto: Amélie Losier