Sind Schockbilder auf Zigarettenschachteln berechtigt?
JA

RAUCHEN Zum Nichtrauchertag am 31. Mai fordert die Weltgesundheitsorganisation: Bilder von Raucherlungen oder fauligen Zähnen sollen auf Tabakpäckchen überall Pflicht werden

Carola Reimann, Jahrgang 1967, ist gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion

Jeder müsste es inzwischen wissen: Rauchen schadet der Gesundheit. Es schädigt fast jedes Organ des Körpers, insbesondere die Atemwege und das Herz-Kreislauf-System. Rauchen verursacht bis zu 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle. Das Risiko, an einer Herz-Kreislauf-Krankheit zu erkranken oder einen Schlaganfall zu erleiden, ist für Raucher doppelt so hoch wie für Nichtraucher. Diese Liste kann man problemlos weiterführen. Ich finde es daher richtig, dass man die schwerwiegenden Folgen des Tabakkonsums auch klar kommuniziert. Es geht hier nicht um Dramatisierung, sondern um die bildliche Darstellung der Fakten. Daher sollte das Thema in der kommenden Legislatur wieder auf die Tagesordnung kommen. Wenn wir mit den Warnbildern ein paar Raucher mehr vom Tabakkonsum abhalten, haben wir schon viel gewonnen. Schaden werden diese Bilder niemandem außer der Tabakindustrie. Das ist zu verschmerzen.

Annerose Menninger, Jahrgang 1961, ist Historikerin und Autorin von „Genuss im kulturellen Wandel“

Kaum war Tabak aus der Neuen Welt in Europa bekannt geworden, begann sein Siegeszug. Prohibitionsmaßnahmen vieler Länder im 17. Jahrhundert fruchteten nicht, sondern provozierten nur Schmuggel. Parallelen lassen sich im 19. und 20. Jahrhundert auch für Alkohol, Kokain und Opiate konstatieren. Im Unterschied zu „harten Drogen“ blieb Tabak jedoch gesellschaftlich toleriert, obwohl seine Gefährlichkeit erwiesen ist – und zwar für Konsumenten und Passivraucher. Nun haben europäische Staaten angesichts der Befunde der Medizin wie auch der historischen Erfahrung richtig reagiert: nicht mit strikter Prohibition, wohl aber mit Werbeverboten, Rauchverboten in der Öffentlichkeit und verbalen Warnungen auf Zigarettenpackungen. Bilder sind sehr viel eindringlicher als Worte. Es ist daher nur konsequent, dass man jetzt den Weg der illustrativen Prävention wählt und per drastische Fotografien tödliche Tabakfolgen vor Augen führt.

Otmar Wiestler, Jahrgang 1956, ist Medizinprofessor und Chef des Deutschen Krebsforschungszentrums

Raucherinnen und Raucher haben sich allzu schnell an die textlichen Warnhinweise gewöhnt und nehmen diese schon nicht mehr wahr. Um eine neue Diskussion zu einem alten Thema zu entfachen, bieten sich neue Warnhinweise an, die auf Fotos drastisch die Folgen des Rauchens für den Einzelnen im medizinischen Alltag zeigen. Bilder auf Tabakprodukten sind wirksam, dies zeigt ein Report des Deutschen Krebsforschungszentrums, der zum Weltnichtrauchertag herausgegeben wird. Deshalb ist es ein Gebot der Stunde, politisch zu handeln und Tabakwarenhersteller per Verordnung zum Aufdruck bildlicher Warnhinweise auf allen Tabakprodukten zu veranlassen.

Nein

Uli Neu, Jahrgang 1958, Tübinger Wirt, siegte vorm Bundesverfassungsgericht gegen das Rauchverbot

Alles, was Leute vom Rauchen abhält, ist in Ordnung. Aber ich glaube nicht, dass Fotos oder die gängigen schriftlichen Warnhinweise auf den Packungen etwas bringen. Geschmackvoll ist das Ganze sowieso nicht. Für kleine Kinder und deren Psyche sind solche Horrorbilder wahrscheinlich zu heftig. Der Anblick von verfaulten Gebissen, Raucherbeinen und zerfressenen Lungen verstört sie womöglich. Ein Achtzehnjähriger wiederum, der seine Packung am Automaten oder am Kiosk kauft, dürfte eher abgestumpft und gleichgültig reagieren. Er wird die Zigaretten bestimmt nicht wegen so eines Fotos auf der Schachtel wegwerfen. Prävention, die was bringt, muss anders aussehen.

Klaus Sachs-Hombach, Jahrgang 1957, ist Professor für Philosophie an der TU Chemnitz

Werbung ist ohne Bilder nicht mehr vorstellbar. Insofern dürfte unstrittig sein, dass Bilder wirkmächtiger als Texte sind. Im Blick behalten werden sollten aber die Fragen nach dem Preis dieser Wirksamkeit und nach der Berechtigung, so zu verfahren. Susan Sontag hat die Betrachtung von KZ-Bildern als so einschneidend beschrieben, dass sie ihr Leben fortan in ein Leben vor und ein Leben nach Betrachtung der Bilder teilte. Aber steter Konsum von Schreckensbildern, wie Sontag ebenfalls schrieb, mindert deren Wirksamkeit erheblich. Anders als Bilder der Werbung, die zu immer neuen Tabubrüchen greifen, werden Bilder von Raucherlungen und Tumoren die Gemüter kaum lange erregen, sondern bald den umgekehrten Effekt zeitigen: Abstumpfung. Wichtiger als dieser zu hohe Preis ist aber, dass wir allzu schnell nach Sozialtechnologien rufen. Es ist eine Frage des Respekts, Handeln aus Einsicht zu fördern, statt auf Furcht vor Krankheit zu setzen.

Daniela Chiaretti, Jahrgang 1960, ist Journalistin bei der Wirtschaftszeitung Valor in São Paulo

Berechtigt? Es geht doch darum, ob solche schockierenden Bilder überhaupt etwas bewirken! In Brasilien gibt es sie schon seit sieben Jahren, aber ich habe mir deswegen keine einzige Zigarette verkniffen. Inzwischen bin ich zwar Exraucherin, aber bestimmt nicht wegen der Fotos. Für manche Raucherinnen und Raucher sind sie höchstens ein bisschen peinlich, die haben sich ein Etui besorgt, damit man die Bilder nicht sieht. Am meisten Eindruck machen die unappetitlichen Bildchen sicher auf Kinder und Jugendliche. Saftige Preiserhöhungen wären das effektivste Mittel, um das Rauchen spürbar zurückzudrängen, aber die hat die Tabaklobby noch immer verhindert. Ein anderer Weg sind drakonische Rauchverbote, wie sie unser Gouverneur gerade durchgesetzt hat. Jetzt darf man in São Paulo nicht einmal mehr unter einer Markise rauchen. Dadurch wird eine antisoziale Stimmung geschaffen. Das finde ich völlig überzogen, die armen Raucher tun mir leid!