Debatte Entwicklungshilfe: Hilfe schafft Kapital

Die G 8 würden zu ihren Verpflichtungen auch in der Krise stehen, hört man aus LAquila. Doch es gibt auch andere Stimmen.

Geiz ist wieder geil. Pünktlich zur schwersten Weltwirtschaftskrise seit achtzig Jahren, in der die Bruttosozialprodukte mancher Industrienationen so schnell schrumpfen wie noch nie und die Zahl der chronisch Hungernden auf der Erde erstmals die Marke von einer Milliarde überschreitet, hat eine alte neoliberale Forderung wieder Hochkonjunktur: "Weg mit der Entwicklungshilfe!"

Hilfe mache faul und abhängig, fördere Korruption und lähme die Eigeninitiative, heißt es von den Kritikern, die vom deutschen "Bonner Aufruf" über afrikanische Ökonomen bis zur US-Rechten reichen. Hilfe für Afrikaner ist damit gemeint. Man sieht ja, in was für einem Zustand Afrika ist.

Besonders sympathisch kommt die Forderung "Weg mit der Entwicklungshilfe" dieser Tage daher, wenn sie von Afrikanern getragen wird.

Da wäre zum Beispiel der Kenianer James Shikwati, Liebling und Dauer-Interviewpartner vieler in Nairobi ansässiger deutscher Afrikakorrespondenten wegen seiner These: "Afrika muss sich alleine helfen: Wir brauchen einen Mentalitätswechsel hin zum Selbermachen. Wir brauchen Unternehmer, Selbständige, Investoren."

Oder die Sambierin Dambisa Moyo, die in ihrem Buch "Dead Aid" die Abschaffung der Entwicklungshilfe innerhalb von fünf Jahren fordert und stattdessen für mehr ausländische Direktinvestitionen eintritt.

Ist Shikwati nun Investor geworden, hat er produzierende Unternehmen in die Welt gesetzt? Nein. Er hat eine Nichtregierungsorganisation gegründet, also genau einen von diesen verteufelten Vereinen, die ausländische Partner brauchen, um zu überleben - in diesem Fall konservative Think-Tanks aus den USA, von denen er unter anderem gelernt hat, dass der globale Klimawandel ein Märchen ist.

Moyo ist zumindest konsequenter: Sie war Investmentbankerin und sitzt heute im Vorstand eines südafrikanischen Biermultis und eines schwedischen Ölkonzerns, zwei Sektoren, in denen das Missverhältnis zwischen Investitionssummen und allgemeinem Nutzen in Afrika besonders groß ist .

Natürlich braucht Afrika mehr Investitionen. Das genau ist ja die Grundüberlegung hinter der Forderung, die Entwicklungshilfe kräftig zu erhöhen und zugleich gezielter einzusetzen. Diese Forderung entstand als Antwort auf die Frage, die sich als Ergebnis der Lektüre der Thesen der Hilfskritiker aufdrängte: Wieso wird denn in Afrika so wenig privates Kapital zugunsten von Zielen mobilisiert, die dem Allgemeinwohl dienen?

Es ist ja nicht so, dass es in Afrika kein Geld gäbe. Das merkt jeder Reisende, der sich in boomenden afrikanischen Metropolen von Dakar bis Nairobi durch den Dauerstau von Großbaustelle zu Großbaustelle schwitzt. Sachwerte wie Immobilien dienen als Alternative zu produktiven Investitionen, weil ein Haus stehen bleibt, auch wenn eine Firma in den Ruin getrieben wird.

Wo Regierungen durch Diebstahl und Absahnen oft jedes kluge Vorhaben scheitern lassen, bevor es überhaupt begonnen hat, wird kein Investor auch nur einen Cent in ein Projekt stecken, in dem er nicht wohnen kann - soweit dieser Cent überhaupt jemals europäische Bankkonten verlässt.

Deswegen entstehen besonders pompöse Luxusvillen dort, wo die Kluft zwischen Arm und Reich und zwischen Mächtigen und Machtlosen besonders tief ist, und deswegen gibt es in vielen sehr armen Ländern glitzernde Bankhäuser als Einfallstor zum internationalen Anlagemarkt für Leute mit großen Geldkoffern, nicht aber als Kreditgeber für den lokalen Mittelstand.

Afrika zählt Hunderte von Millionen von Unternehmern, meist Kleinhändler am Rande des Existenzminimums, und ihr Hauptfeind ist der eigene Staat: willkürliche Bürokraten, korrupte Beamte, gewalttätige Sicherheitskräfte und zahnlose Rechtssysteme. Aber die richtige Antwort darauf besteht nicht darin, den Staat ärmer zu machen, sondern ihn zu verändern. Wer mit afrikanischen Unternehmern spricht, weiß, dass sie Verbündete im System brauchen, um die ständigen Ärgernisse zu beseitigen, die sie an der Arbeit hindern.

Es geht um bessere Führung und Bezahlung von Richtern, Polizisten und Zöllnern, damit sie weniger klauen und ihre eigentlichen Aufgaben wahrnehmen; um bessere Regierungs- und Finanzsysteme, damit ein Minimum von Eigentums- und Rechtssicherheit entsteht sowie ein Kapitalmarkt nach transparenten und einklagbaren Regeln; um das Ende von schikanösen und langwierigen Grenzkontrollen und der Behäbigkeit schläfriger und lähmender Verwaltungsapparate.

Gut wären auch Teerstraßen, die nicht nach zwei Regenzeiten schon wieder davonschwimmen, oder verlässliche Stromnetze, die nicht wegen ständiger Stromschwankungen jedes teure Gerät innerhalb weniger Jahre vernichten. Antikorruptionsbeauftragte, mutige Untersuchungsrichter, integre Minister, Bürgerrechts- und Umweltaktivisten müssen von außen Rückendeckung erfahren gegen die Kräfte des Beharrens.

All diese Dinge liefert nicht der Privatsektor, sondern ein funktionierendes Gemeinwesen mit einem intakten Staat, und wer sich die Mühe macht, genauer hinzuschauen, wird feststellen, dass es bei der Entwicklungshilfe genau ebendarum geht, längst nicht mehr um junge Freiwillige, die Brunnen bohren, oder um blind gewährte Budgetunterstützung. Und dass gemessen an jedem konkreten Ziel, also ausgedrückt in Kapitalbedarf und nachhaltiger Deckung, die eingesetzten Summen bis heute noch immer viel zu niedrig sind.

Genau deswegen ist das Ausspielen von privaten gegen öffentliche Gelder, mit dem die Kritiker operieren, so ärgerlich. Sinnvoller als eine Debatte um mehr oder weniger Entwicklungshilfe, die Afrika etwa so viel nützt wie eine Debatte um die Höhe von Hartz-IV-Geldern der Qualität der deutschen Berufsausbildung, wäre also eine Debatte um die Art von Unterstützung, die Reformer in afrikanischen Staaten brauchen.

Es reicht nicht, neben bösen Regierungen und überflüssigen Helfern nun plötzlich als Heilskraft den guten Unternehmer zu entdecken.

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