Debatte Europäische Union: Das Personal machts

Die Regierungschefs der Mitgliedsländer müssen entscheiden, ob Europa als Gemeinschaft auch wahrgenommen wird.

Die traurige Abschiedsvorstellung von Umweltkommissar Stavros Dimas gab letzte Woche in Brüssel einen Vorgeschmack darauf, wie die EU bei der Klimakonferenz in Kopenhagen auftreten wird. Die EU-Kommission will, dass Kleinlaster ab 2016 nur noch durchschnittlich 175 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen. Das ist deutlich weniger ehrgeizig als der ursprüngliche Entwurf der Umweltabteilung. Doch hätte sich Dimas nicht auf diesen Kompromiss eingelassen, hätte er das Klimapaket nicht mehr zu Ende bringen können. Ab heute ist die EU-Kommission nur noch kommissarisch im Amt.

Manchen Regierungen und manchen EU-Abgeordneten ist das ganz recht. Werner Langen von der CDU wetterte gegen die Kleinlaster-Verordnung mit der Begründung, so kurz vor Ende der Amtszeit fehle der Kommission ohnehin die politische Legitimation, neue Belastungen für die Industrie zu fordern. Wenn das stimmt, dann fehlt ihr die Legitimation Mitte Dezember beim Klimagipfel in Kopenhagen erst recht. All die Regierungen, die Klimaschutz nur dann gut finden, wenn er sie selbst nichts kostet, dürften darüber nicht böse sein.

Das Verhältnis der Mitgliedsstaaten zu der von ihnen gebildeten Union ist ambivalent. Sie wollen gemeinsam mehr Gewicht haben, als jeder einzelne von ihnen auf die Waage bringen würde. Sie wissen, dass sie dafür robuste Strukturen brauchen und Repräsentanten, die keine Aktenkofferträger sind. Doch wenn es darum geht, Einfluss an Brüssel abzugeben, ist ihnen eine eigenständige EU doch zu unbequem und unkalkulierbar.

Bei der Klimakonferenz in Kopenhagen wird der schwedische Ratsvertreter der einzige legitimierte Sprecher für die EU sein. Nach Abschluss der Verhandlungen ist er noch zwei Wochen im Amt, dann übernimmt Spanien die Geschäfte. Den Kommissionsmitgliedern haftet ohnehin der Makel des Provisoriums an. Da hat es auch nichts genützt, Kommissionspräsident Barroso im September schon mal für eine zweite Amtszeit zu bestätigen. Solange er sich vertraglich in der Grauzone zwischen Nizza- und Lissabon-Vertrag befindet und kein neues Kollegium zur Seite gestellt bekommt, bleibt er ein König ohne Land. Dass die EU sich nicht durchringen konnte, den Entwicklungsländern ein konkretes Finanzangebot nach Kopenhagen mitzubringen, macht die Sache nicht besser. Auch für die Lastenverteilung zwischen den Mitgliedsstaaten konnte vorab keine Lösung gefunden werden. Damit verabschiedet sich die EU, die sich als Motor und Vorbild bei den Klimaverpflichtungen sah, aus dieser Führungsrolle.

Das unwürdige Spiel, das der tschechische Staatspräsident Václav Klaus den Europäern in den vergangenen Monaten aufzwang, könnte sie nach dem Umweltschutz auch beim Thema Menschenrechte und Demokratie die Meinungsführerschaft kosten. Der geringe Widerstand, auf den der Euroskeptiker stieß, als er die Grundrechtecharta für sein Land ablehnte, lässt die Beobachter ratlos zurück: Ist die Charta nur ein Reklamegag? Hat sie gar nicht den zentralen Stellenwert für die europäische Wertegemeinschaft, der ihr zugeschrieben wird, seit Roman Herzog das Werk im Jahr 2000 in einem Grundrechtekonvent aushandelte? Macht es für ein Land keinen Unterschied, ob es die Charta anerkennt oder nicht?

Über die Antwort streiten Juristen schon heute. Erst die Praxis wird zeigen, wie der Europäische Gerichtshof das neue Rechtsinstrument einsetzt und ob die Bürger in Tschechien gegenüber den EU-Institutionen in einer schwächeren Position sind, weil sie sich nicht auf die Charta berufen können. Ganz sicher aber hat der Symbolgehalt der EU-Verfassung und der dort eingebetteten Charta, der für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Europäer wichtig wäre, unter der quälend langen Debatte und den nationalen Erpressungsmanövern gelitten. Wenn nun auf einem Sondergipfel im November die neuen europäischen Topjobs ausgemauschelt werden, wird das Ansehen der Union bei den Bürgern weiter leiden.

Kein Bewerber ist bislang aus der Deckung gekommen und hat öffentlich begründet, welche Vision er für Europa hat und wie er das neue Amt ausgestalten möchte. In Brüssel wird das große Schweigen damit begründet, dass potenzielle Kandidaten nicht durch eine lange öffentliche Diskussion beschädigt werden sollen. Schließlich komme, das betont auch Angela Merkel, nur jemand aus dem Kreis der Staats- und Regierungschefs für das Amt in Frage. Doch der Vertrag von Lissabon verlangt nur, dass die Staats- und Regierungschefs den Ratspräsidenten oder die Ratspräsidentin mit qualifizierter Mehrheit benennen. Dass es ein amtierender oder ehemaliger Kollege sein muss, steht dort nicht.

Auch was die Aufgabenbeschreibung angeht, wollen sich die Regierungen vorab nicht festlegen lassen. Soll der Ratspräsident eine Art Generalsekretär sein, der für den reibungslosen Ablauf der Sitzungen zu sorgen hat? Oder soll er die EU nach außen vertreten und inhaltliche Schwerpunkte setzen? Und wie grenzt sich sein Aufgabenbereich von dem des neuen Außenministers ab?

Es werde ganz entscheidend vom ersten Amtsinhaber abhängen, welche Bedeutung die neuen Posten erlangen, heißt es in Brüssel. Umso wichtiger, dass die Kandidaten sich der öffentlichen Diskussion stellen, sollte man meinen. Doch manchem wäre eine solche Debatte wohl unbequem. Da müsste die Frage beantwortet werden, wie sich zum Beispiel ein abgehalfterter Premierminister aus einem Land, das nicht einmal der Einheitswährung vertraut, monatelang ganz oben auf der informellen Kandidatenliste hat halten können. Und wieso Tony Blair kurz vor dem EU-Gipfel sang- und klanglos von dieser Liste wieder verschwand.

Es wird Zeit, dass Europas Regierungschefs eine Entscheidung treffen. Wollen sie von außen als Gemeinschaft wahrgenommen werden, und sollen sich die Wähler als aktiver Teil dieser Gemeinschaft fühlen? Dann dürfen sie nicht länger abgehalfterte Regierungschefs und Kompromisskandidaten stillschweigend in die Topjobs schieben. Vielmehr müssen sich die besten Köpfe eine fruchtbare Debatte liefern, wo es mit Europa hingehen soll. Der Lissabon-Vertrag schreibt das nicht vor. Aber er verbietet es auch nicht. DANIELA WEINGÄRTNER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.