Kommentar Italien: Über Kreuz mit Europa

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verbietet Kruzifixe in italienischen Klassenzimmern. Es scheint, als nähmen nur die Richter das religiöse Symbol wirklich ernst.

Verkehrte Welt im Streit um das Kreuz in italienischen Schulen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte meint, dass davon eine machtvolle Botschaft ausgeht - nämlich, welcher Verein die Deutungshoheit beansprucht, wenn es um letzte Fragen geht. Die Verteidiger des Kreuzes dagegen reden seine Wirkung klein und degradieren es zur bloßen europäischen "Tradition".

Es scheint, als nähmen nur die Richter das religiöse Symbol wirklich ernst, während seine Anhänger es zum kulturellen Accessoire herunterstufen. Doch das ist nur ein Trick: sich per Erniedrigung erhöhen. Am Ende befinden dann doch wieder die Katholiken - ob im Namen der europäischen Tradition oder "unantastbarer Werte" - ganz allein darüber, wie die ganze Menschheit gerettet wird: mal mit Kreuz im Klassenzimmer, mal mit dem Verbot von Präservativen, Abtreibungspillen, Schwulenehe oder passiver Sterbehilfe.

In Italien konnte die Kirche ihren Standpunkt so radikal durchsetzen wie in kaum einem anderen westeuropäischen Land. Und so ist selbst die Schlappe in Straßburg zwar eine juristische Niederlage, zugleich aber ein politischer Sieg für sie. Dass das Kreuz nicht bloß für die katholische Kirche stehe, sondern gleich für ganz Italien - die politischen Reaktionen auf das Urteil aus Straßburg bestätigen diese Sicht. Da stehen nicht Laizisten gegen Klerikale - da steht "Italien" gegen ein traditionsvergessenes Europa.

Brenzlig für den Vatikan würde es erst, wenn auch die höchsten italienischen Gerichte solche Urteile fällten. Doch davon ist das Land weit entfernt. Dass jetzt die Kreuze abgehängt werden, glaubt in Italien niemand. So hat die Kirche keinen Schaden - trägt aber einen unzweifelhaften Nutzen davon: sie kann sich noch besser als Opfer "laizistischer Intoleranz" inszenieren - auch wenn Italiens Politiker ihr beharrlich jeden Wunsch erfüllen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.