Das Genussverbot

SPITZENMANAGEMENT Frauen, Macht und Hedonismus – das geht nicht zusammen. Die Deutschen haben es lieber protestantisch

ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und leitet das Meinungsressort der taz. Zuletzt schrieb sie an dieser Stelle über die pauschal abwehrende Reaktion vieler Deutscher auf chinesische Literatur.

Drei für die Republik relevante Institutionen lassen sich seit vergangener Woche von Spitzenmanagerinnen führen: die Bundesregierung, die evangelische Kirche, die thüringische Landesregierung. Das ist ein Durchbruch, denn die Bundesrepublik tut sich schwer mit weiblichen Führungskräften. Sie erlaubt ihnen den Zugang zu Spitzenjobs nur, wenn es gar nicht mehr anders geht. Erst Kohls kriminelle Machenschaften öffneten Angela Merkel die Tür zur Kanzlerschaft, desgleichen bedurfte es des nahezu uneingeschränkten Realitätsverlustes von Dieter Althaus, um im Thüringen eine Frau als CDU-Spitzenkandidatin aufzustellen. Und der evangelischen Kirche laufen die zahlenden Gläubigen derzeit in Scharen davon – wobei die Kirche diesen Schwund verkraften dürfte.

Welcher Typus Frau aber vermag nun endlich die gläserne Decke zu durchstoßen? Welcher Typus gilt den Institutionen als führungsstark und kompromissfähig, als medientauglich? Es ist die Protestantin. Es ist die kluge, fleißige, bescheidene, körperlich zurückgenommene und zähe Kämpferin. Im Falle von Käßmann gar die vom Krebsleiden und der Scheidung gezeichnete Frau. Dieser Typus ist das Gegenstück zu eitlen Lebemännern wie Gerhard Schröder oder Joschka Fischer. Er ist auch das Gegenstück zu offensiv hedonistischen Frauen und Müttern, wie etwa der spanischen Verteidigungsministerin Carme Chacón. Die deutsche Topfrau von heute ist bestenfalls einmal geschieden, nicht viermal verheiratet, und Zigarren sind ihr fremd. Sie ist sozial kompetent, knallhart leistungsorientiert – und wenn sie genießt, dann tut sie es im Stillen.

Bloß nicht stolz sein

Nachdem Angela Merkel die Standing Ovations des amerikanischen Kongresses entgegengenommen hatte, sagte sie der deutschen Presse: „Als Nordlicht sag ich mal, es gab wenig Kritik.“ Ihr Strahlen verriet ein wenig Stolz, ihre Worte kaschierten ihn bestmöglich. Als der Schriftsteller Rainald Goetz zur Jahrtausendwende das „Jahrzehnt der schönen Frauen“ voraussagte, dürfte er eine opulentere Erscheinung vor Augen gehabt haben.

Was ist falsch am Habitus der protestantischen Trümmerfrau? Gar nichts. Irritierend ist allein, wie einmütig sich die deutsche Gesellschaft auf die fleißige, entsexualisierte Frau als allein kompromissfähig und medientauglich einschwört.

Dem Vernehmen nach verdankt Merkel ihren Spitznamen „Mutti“ der CSU. Das Motiv der deklassierten Männer liegt auf der Hand: Die einzige Frau, der Mannsbilder wie sie Gefolgschaft leisten, ist ihre Mutter. Das „Mutti hingegen erklärt noch etwas anderes: Erwarte keine Gegenleistung von uns. Eine Mutti wird nur geduldet, sie hat keinen Anspruch auf Genuss, sie liegt nicht am Pool und lässt sich verwöhnen: die wäscht die Wäsche der anderen.

Zwanzig Jahre nach dem Mauerfall gibt es also in Deutschland mächtige Frauen, die erfolgreich sind und denen der Erfolg auch attestiert wird. Siehe Merkel. Aber wehe, sie genießen sich in ihrem Erfolg, wehe, sie legen die Füße auf den Tisch und finden coram publico: „Yep, ich bin richtig gut.“ Die generationen- und parteiübergreifende Missgunst zeigt sich an der unbedingten Forderung der Mitarbeitenden oder der WählerInnen, für den realen oder symbolischen Machtverlust entschädigt zu werden. In der Folge dürfen Frauen keine Fehler machen, beziehungsweise die Strafe für gemachte Fehler fällt ungleich gnadenloser aus als bei ihren männlichen Kollegen. Siehe Andrea Ypsilanti, siehe Heide Simonis.

Diese Strenge ist Symptom für ein kollektives Unbehagen: Eigentlich gehören Frauen da oben nicht hin. Und so müssen sie unentwegt unter Beweis stellen, dass sie die Geschäfte höchst professionell führen. Dabei wären sie nicht dort, wo sie sind, hätten sie nicht bereits bewiesen, dass sie ihren Job beherrschen. Machtfrauen, die eingreifen wollen, bekommen keine Vorschusslorbeeren. Das Vertrauen auf ihre Kompetenz findet sich stets relativiert vom Misstrauen gegenüber den verkehrten Verhältnissen. Daher ist der Aufstieg auch so schwer.

Gerhard Schröder konnte grinsend davon erzählen, wie er einst sturztrunken am Gittertor des Bonner Kanzleramtes rüttelte und rief: „Ich will da rein!“ Undenkbar, dass Merkel sich im Rückblick als Kanzlerin erträumte und über Anekdoten sich spielerisch heroisierte. Ihr und ihresgleichen obliegt es, Strenge zu repräsentieren und ihre Leidenschaft stets in den Dienst der guten, der ihnen übergeordneten Sache zu stellen. Das fällt Pfarrerstöchtern offenkundig leichter.

Bei Fehler Überreaktion

Fehler, zumal kleinere, aber machen Leute angenehm. Wer will schon ein Bier mit jemandem trinken, der ständig auf Ausgleich, Perfektion und Kontrolle bedacht sein muss? Und – ein wenig wichtiger – wer kann Visionen entwickeln, wer für ein Umdenken streiten, wenn er (in dem Falle sie) keine Fehler machen darf? Niemand.

Als Rainald Goetz das „Jahrzehnt der schönen Frauen“ voraussagte, hatte er wohl einen opulenteren Typus vor Augen

Neue Wege kann nur beschreiten, wer Risiken eingeht. Also wer auf eine gewisse Großzügigkeit seiner KollegInnen und der Medien rechnen darf, wer darauf zählen kann, dass sein Umfeld eine gewisse Nachsicht und ein wenig Zeit gewährt. Und schon finden sich die spärlichen weiblichen Topmanagerinnen in einer diffizilen Situation wieder: Sie haben in aller Regel den Job bekommen, weil ihre Institution wackelt, und sie sind die ersten Frauen an der Spitze. Einfach so weiterzumachen wie bisher, ist für sie folglich keine Handlungsoption. Gleichzeitig verweigern ihnen viele die Gefolgschaft, selbst aus den eigenen Reihen. Eine Chefin zu unterstützen, ist noch keine Ehrensache.

Trotzdem ist es jetzt möglich, dass auch Nicht-Erbinnen und Nicht-Ehefrauen sich einen Weg ins Spitzenmanagement bahnen. Und das ist super.

Aber richtig spannend wird es erst, wenn nicht nur weibliche Stars und Sternchen öffentlich Spaß haben dürfen, sondern die Gesellschaft auch Frauen aus dem sogenannten seriösen Fach zugesteht, wild zu sein. In anderen Worten: das, was als Widerspruch behandelt wird, in einem neuen Habitus zu bergen. Also Weiblichkeit mit Rationalität und mit körperlicher Leidenschaft zu verbinden, soziale Kompetenz mit Autorenschaft, Engagement mit Machtanspruch. Und das Ganze mit Genuss. INES KAPPERT