„Die jungen Israelis sind für diesen Krieg“

Israels Linke hat im Gaza-Krieg versagt – sie ist inzwischen aber auch marginalisiert, meint der Schriftsteller Nir Baram. Die vielen kritischen Stimmen aus der Kulturszene haben keinerlei Einfluss auf die Politik und die öffentliche Meinung

NIR BARAM, 31, ist Schriftsteller und Aktivist. Im Jahr 2001 erschien sein Roman „Purple Love Story“ (auf Deutsch im Orgler Verlag), der in den Jahren 1995 und 1996 spielt und von der politischen Desillusionierung der jungen Generation nach dem Mord an Jitzhak Rabin handelt. Trotz seiner kritischen Töne wurde das Buch ein Bestseller. Baram zählt zu den Mitbegründern der neuen israelischen Linkspartei. Er lebt in Tel Aviv.

taz: Herr Baram, vor einem Monat hat sich in Israel eine neue Linkspartei gegründet. Wie steht sie zum Gaza-Krieg?

Nir Baram: Die Partei hat schon sehr früh Stellung gegen die Bodenoffensive genommen. Grundsätzlich aber war ihre Reaktion zu schwach und unbefriedigend. Meiner Meinung nach hat die neue Partei hier moralisch versagt. Wir kennen Operationen wie jetzt in Gaza doch aus der Vergangenheit – und wir wissen, was zu erwarten ist. Das fängt immer mit Luftangriffen an, dann kommen die Fußsoldaten, und je länger der Krieg dauert, desto nebulöser werden die Ziele, bis niemand mehr versteht, warum man das Ganze überhaupt angefangen hat. Meiner Meinung nach hätte die neue Linkspartei vom ersten Tag an klar Stellung gegen diese Operation beziehen müssen. Das ist leider nicht passiert.

Nicht gerade ein gelungener Start also.

Nein, ein enttäuschender Start. Ich habe die neue Bewegung unterstützt aufgrund meiner festen Überzeugung, dass Israel einen sozialdemokratischen Block braucht, der im Friedensprozess einen moderaten Kurs vertritt und eine Alternative zur Arbeitspartei und deren Vorsitzenden Ehud Barak darstellt. Leider hat sich schon zu Beginn des Krieges gezeigt, dass die Führung der Linkspartei diese Dynamik keinesfalls herstellt. Dass sie es nicht gewagt hat, sich gegen den breiten israelischen Konsens für den Krieg zu stellen, der von weit rechts bis zum Mitte-links-Lager reicht, lege ich ihr als Versagen aus. So kam es, dass man vom links-liberalen Meretz-Bündnis und der neuen Bewegung nichts gehört hat.

Sie beklagen den Konsens. Aber Israel ist acht Jahre lang aus dem Gazastreifen mit Kassam-Raketen beschossen worden. Reicht das nicht, um einen Gegenschlag zu rechtfertigen?

Im Gazastreifen wird völlig unverhältnismäßige militärische Schlagkraft eingesetzt, um am Ende das zu erreichen, was es schon vor einem halben Jahr gab: einen Waffenstillstand. Die Führung der Linken hat das nicht schnell genug kapiert und es den Linksradikalen – der Friedensbewegung Gusch Schalom um Uri Avnery und der (antizionistischen, d. Red.) Partei Chadasch – überlassen, den Protest zu organisieren. Dabei spricht der Protest viele Leute an, die traditionell für die Meretz stimmen.

In Ihrem Buch „Purple Love Story“ kritisieren Sie die jungen Israelis für ihre Gleichgültigkeit. Sind sie auch diesem Krieg gegenüber gleichgültig?

Ich glaube nicht, dass wir es hier mit Gleichgültigkeit zu tun haben. Es ist nicht so, dass sie bloß keine Lust haben, aus dem Haus zu gehen, und lieber fernsehen oder Musik hören wollen. Nein, die meisten jungen Israelis sind für diesen Krieg.

Wie kommt das?

Weil die gesamte Bevölkerung in Israel nach rechts gerückt ist. Das geht auf den Moment zurück, als (der damalige Premier) Ehud Barak im Sommer 2000 von den Friedensverhandlungen mit PLO-Chef Jassir Arafat aus Camp David zurückkam und erklärte, dass es auf palästinensischer Seite keinen Partner für den Frieden gäbe. Das hat die gesamte israelische Linke zerstört. Denn sie konnte weder erklären, warum es weiter wichtig ist, die Besatzung zu bekämpfen, noch Alternativen formulieren. Der moderate Block hat in den vergangenen acht Jahren hunderttausende junge Leute ans militantere Lager verloren, das zum Teil durchaus rassistische Haltungen vertritt. Jene Hunderttausende, die einst für die Friedenspolitik des ermordeten Premiers Jitzhak Rabin und das Osloer Abkommen waren – diese jungen Leute glauben inzwischen nicht mehr an eine Lösung dieses Konflikts. Dieses Gefühl teilen sie mit rund 80 Prozent der Bevölkerung.

Bleibt nur noch, die Palästinenser zur Kapitulation zu zwingen. Die Soldaten, die im Gazastreifen kämpfen, sollen ausgesprochen motiviert sein und bereit, für ihr Vaterland zu sterben. Wie sehen Sie die Rolle, die die Armee in Israel spielt?

Israel hat in seiner kurzen Existenz schon sehr viele Kriege durchgemacht – da überrascht es nicht, dass die Armee eine derart zentrale Rolle einnimmt. Problematisch ist die militärische Denkweise. Das fängt in der Armee an und sickert von dort in die Politik und die Gesellschaft ein. Die Armee spielt deshalb eine so zentrale Rolle, weil Politik und Öffentlichkeit überzeugt sind, dass sie für jeden Konflikt die Lösung bietet. Früher konnte die israelische Linke dagegenhalten, eine Alternative entwerfen und Hoffnung auf einen neuen Nahen Osten wecken. Das gelingt heute nicht mehr. Stattdessen glauben die Leute an militärische Kraft, Abschreckung und Zuschlagen. Die Soldaten sind davon nicht frei. Sie glauben wirklich, dass sie für die Existenz des Staates Israel kämpfen. Das Problem ist aber nicht, was die Soldaten glauben. Sondern, dass es keine alternativen Modelle gibt, die der Bevölkerung andere Wege zur Konfliktlösung anbieten.

In den letzten Jahren gibt es in Israel immer mehr Anti-Kriegs-Bücher und Anti-Kriegs-Filme. Haben die keinen Effekt?

Im kulturellen Bereich, in der Literatur und im Film, herrscht ein viel größerer Pluralismus als in der Politik. Filme wie „Waltz with Bashir“ nehmen in der öffentlichen Debatte breiten Raum ein. Die Kultur genießt eine gewisse Autonomie, aber auf die politische Diskussion schlägt sich das kaum nieder. Israelische Filme und Bücher waren schon immer kritischer. Vielleicht hat man in Europa deshalb den Eindruck, hier fände ein dramatischer Umdenkungsprozess statt. Das ist aber nicht der Fall. Der Einfluss der israelischen Kultur reicht nicht aus, um die öffentliche Meinung zu verändern.

Welche Folgen wird der Gaza-Krieg für die bevorstehende Wahl im Februar haben?

In einem ähnelt die aktuelle Operation dem Libanonkrieg vom Sommer 2006: Sie hat erneut die Sicherheit als wichtigstes Thema auf die politische Agenda gesetzt. Und wieder gilt das Militär als Instanz, die Lösungen liefert. Das drängt soziale und wirtschaftliche Themen in den Hintergrund – also all jene Bereiche, in denen die israelische Linke bessere Chancen hätte, die Wähler von sich zu überzeugen. Der bevorstehende Wahlkampf wird den letzten beiden Wahlen sehr ähnlich sein: Es wird hauptsächlich um Sicherheitsfragen gehen – und die Lösungsansätze der Parteien werden sich nur in Nuancen unterscheiden.

Mit welchem Wahlergebnis rechnen Sie?

Keine einzige Partei hat heute eine Antwort auf die großen sicherheits-, gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Fragen – wobei ich davon ausgehe, dass alle miteinander verknüpft sind. Auch hier ist die israelische Linke verstummt und verschwunden. Der rechte Likud hat deshalb die besten Chancen. Das Einzige, was sich in den letzten Jahren verändert hat, ist, dass man früher dachte, es würde einen Unterschied machen, ob der Likud oder die Arbeitspartei regieren. Jetzt sehe ich aber nicht den geringsten Unterschied zwischen Likud-Chef Benjamin Netanjahu und Ehud Barak. Keiner der beiden glaubt an eine politische Lösung in absehbarer Zukunft; beide setzen auf militärische Macht; beide glauben an die Privatwirtschaft und weigern sich, die Lektion aus der Wirtschaftskrise zu lernen. Es sollte sich keiner Illusionen über die nächsten Wahlen in Israel machen. Egal, wer gewählt wird: es wird mehr oder weniger so weitergehen wie bisher.

INTERVIEW: SUSANNE KNAUL