Deabatte Integrationsstudie: Arbeit, Bildung, deutscher Pass

Lässt sich die Integration von Aussiedlern und Türken so einfach vergleichen? Nein. Eine neue Studie hat es versucht. Leider lädt sie zu falschen Schlussfolgerungen ein.

Immer, wenn es neue Untersuchungen zum Thema Einwanderung und Integration gibt, schlagen die Vereinfacher auf beiden Seiten zu. Kaum wurden die Ergebnisse der neuen Integrationsstudie eines Berliner Demografieinstituts in der vergangenen Woche öffentlich bekannt, hagelte es auf deutscher Seite Schlagzeilen wie "Viele Türken verweigern sich der Integration" (Welt) oder "Für immer fremd" (Spiegel). Auf türkischer Seite wiegelte die Hürriyet ab: "Türken mit veralteten Zahlen abgestempelt", während die Türkiye trotzig schrieb: "Türken sind nicht integrationsunwillig".

Weiter hilft das nicht. Besser wäre es, einen nüchternen Blick auf die Studie des Berlin-Instituts zu werfen. Es vergleicht erstmals die Integration von acht verschiedenen Migrantengruppen anhand eines Indexes, der aus 20 ausgewählten Indikatoren errechnet wird. Grundlage dafür sind die Daten des Mikrozensus aus dem Jahr 2005. Ein Fazit der Studie lautet: Die türkischstämmigen EinwandererInnen haben die größten Integrationsprobleme, die AussiedlerInnen dagegen schneiden überraschend gut ab. Folgt man der Einschätzung von Rainer Klingholz, dessen Institut die Untersuchung durchgeführt hat, könnte der Migrationshintergrund der Aussiedler schon in der nächsten Generation keine Rolle mehr spielen. Davon scheinen die türkischen EinwanderInnen Lichtjahre entfernt zu sein.

Warum schaffen die Deutschtürken nicht, was den Aussiedlern anscheinend fast problemlos gelingt? Wer diese auf den ersten Blick so nahe liegende Frage stellt, sollte zweierlei berücksichtigen: die Migrationsgeschichte der beiden Gruppen -und die Auswahl der Indikatoren, die der Untersuchung zugrunde liegen.

Die TürkInnen, die nach der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens aus dem Jahr 1961 als Gastarbeiter ins Land kamen, stammen vor allem aus den ländlichen Gebieten im Osten der Türkei. Sie waren jung, tatkräftig und hatten zumeist weder Schul- noch Berufsabschluss. Das störte hierzulande niemanden, im Gegenteil: Politik und Wirtschaft wollten diese Unterschicht, die mit ihrer Schwer- und Schmutzarbeit in den Fabriken, im Bergbau und der Stahlindustrie den Wirtschaftsaufschwung möglich machte - und mit der festen Absicht einreiste, gutes Geld zu verdienen und nach einigen Jahren wieder zu verschwinden. Bekanntlich kam es anders: Die Gastarbeiter blieben, Familien zogen nach oder wurden hier gegründet. Statt nun eine rationale und umfassende Integrationspolitik zu betreiben, entschied sich die Bundesregierung für einen ideologischen Abwehrkampf. Integration war bis vor wenigen Jahren kein ernsthaftes Thema, aktiv gefördert wurde sie nicht.

Die Dominanz der Unterschicht und die damit oft einhergehende Bildungsferne ist ein Problem bei der Integration der Deutschtürken. Hinzu kommt die Größe ihrer Community: Weil es vor allem in den Städten so viele sind, fällt es ihnen leicht, unter sich zu bleiben. In Frankreich etwa, wo es weniger türkische Migranten gibt, sind sie deutlich besser integriert.

Die Ausgangslage der AussiedlerInnen, die nach der Öffnung Osteuropas und dem Zerfall der Sowjetunion verstärkt ins Land kamen und heute die größte Einwanderergruppe hierzulande stellen, ist eine völlig andere: Viele besitzen eine gute Schulbildung, nicht wenige sogar einen Hochschulabschluss. Dass es häufig Schwierigkeiten bei der Anerkennung von Uni- und Berufsabschlüssen gibt, ist hoch problematisch, ändert aber nichts am Bildungsvorsprung der Aussiedler.

Einen Vorsprung haben sie auch beim deutschen Pass. Da sie laut Grundgesetz die "deutsche Volkszugehörigkeit" besitzen, hatten sie einen Rechtsanspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft - samt umfänglichen Sozialleistungen, darunter Sprachkurse sowie Vorbereitungs- und Umschulungskurse für die berufliche Eingliederung. Anders als bei den türkischen EinwanderInnen wurde bei ihnen Integrationspolitik gemacht. Und obwohl die Gruppe der AussiedlerInnen groß ist, bleiben sie im Alltag fast unsichtbar: Sie konzentrieren sich nicht in den Großstädten, sind äußerlich fast nicht erkennbar, und auch ihre Namen sind von denen der Eingeborenen kaum zu unterscheiden. Das macht es schwerer, sie zu stigmatisieren. Die Integrationsleistung, die den beiden Gruppen abverlangt wird, ist demnach eine völlig andere.

Hinzu kommen die Indikatoren, die die Macher der Studie ausgewählt haben und die vor allem Bildung und ökonomischen Erfolg berücksichtigen. Auch sie kommen den Aussiedlern entgegen: Wer gut gebildet einreist, bekommt Punkte beim Bildungsstand - und findet leichter einen Job, was wiederum Punkte gibt. Auch der deutsche Pass, den Aussiedler anders als die türkischstämmigen Einwanderer geschenkt bekommen, wirkt sich positiv auf den Integrationsindex der entsprechenden Gruppe aus - und er erleichtert den Zugang zum öffentlichen Dienst und zu einigen der sogenannten Vertrauensberufe wie Polizist, Anwalt und Lehrer. Wer hier mehr Mitglieder der eigenen Community aufweisen kann, schneidet beim Integrationsindex noch besser ab. Das erklärt, warum die Aussiedler in der Untersuchung des Berlin-Instituts so gut dastehen. Trotzdem sollte man hinter deren Aussagen ein Fragezeichen setzen. Andere Studien, etwa vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachen, schätzen die Situation der AussiedlerInnen weit düsterer ein, und das "Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung" beklagt die massiven Schwierigkeiten der Aussiedler, Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden.

Auch gehört zur Integration weit mehr, als die Forscher des Berlin-Instituts als Indikatoren angelegt haben. Die Rolle der Mehrheitsgesellschaft blenden sie völlig aus, und auch die gesellschaftliche Partizipation der EinwanderInnen wird zu wenig berücksichtigt. Hätte man andere Kriterien ausgewählt, etwa die Anzahl der ParlamentarierInnen oder das Engagement in Parteien und Gewerkschaften - das Ergebnis der Türkischstämmigen wäre besser ausgefallen. Eine Untersuchung gar, die statt der ethnischen Herkunft die Schichtzugehörigkeit der Migranten in den Vordergrund gerückt hätte, könnte auch Ursachen für gute oder weniger gute Integration benennen.

Trotz aller Mängel hat die Untersuchung etwas Gutes: Sie lenkt den Blick wieder auf einen zentralen Aspekt der Integration: die Arbeit. Vor allem der Städtevergleich, in dem München, Bonn und Frankfurt besonders gut, Duisburg, Nürnberg und Dortmund aber besonders schlecht abschneiden, zeigt: Wie gut Menschen integriert sind, hängt stark vom regionalen Angebot an Arbeitsplätzen ab. Wer eine Chance hat, der engagiert sich auch. Das heißt: Nötig sind Programme, die Jugendliche für die Ausbildung fit machen, passgenaue Maßnahmen für erwerbslose Migranten und Hilfe zur Selbstständigkeit. Das gilt umso mehr in Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise.

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Jahrgang 1966, Politikwissenschaftlerin und Journalistin. Seit 1998 bei der taz - in der Berlin-Redaktion, im Inland, in der Chefredaktion, jetzt als innenpolitische Korrespondentin. Inhaltliche Schwerpunkte: Union und Kanzleramt, Rechtspopulismus und die AfD, Islamismus, Terrorismus und Innere Sicherheit, Migration und Flüchtlingspolitik.

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