Pro & Contra: Ist Günter Wallraff ein Aufklärer?

Für sein neues Undercover-Projekt war Günter Wallraff als Schwarzer unterwegs. Predigt er mit dieser Aktion zu den Bekehrten oder schafft er wichtige Aufmerksamkeit?

Die Ersatzperücke wartet: Wallraff wird Kwami. Bild: x-verleih

Nein!

sagt Cristina Nord, Filmredakteurin der taz

Aufklärung schlägt in Gegenaufklärung um, solange sie kein Bewusstsein von ihren Voraussetzungen entwickelt. Um darüber aufzuklären, wie rassistisch es in Deutschland zugeht, hat sich Günter Wallraff schwarz schminken lassen und auf die Reise durch Kleingartenkolonien, Regionalzüge, Prollkneipen und Fußballplätze begeben. Dort schlägt dem als Afrikaner verkleideten Journalisten kaum etwas anderes als Ablehnung, Feindseligkeit und Ressentiment entgegen. Zwei versteckte Kameras sind Zeugen.

Wallraffs grotesk anmutende Verkleidung hat einen unseligen Hintergrund: den des Blackfacing und der Minstrel-Show, einer Form des populären Entertainments, die am Ende des 19. Jahrhunderts in den USA aufkam. Schwarz geschminkte Weiße mimten Schwarze, damit andere Weiße darüber lachten. Die unterschiedlichen Einwanderergruppen konnten über ihre Differenzen hinweg Zusammenhalt aufbauen, indem sie sich über diese "Anderen" mokierten. In den USA wurde dieses Phänomen ausgiebig diskutiert, man denke nur an Spike Lees böse, vielschichtige und zugleich sehr grobe Filmpolemik "Bamboozled" aus dem Jahre 2000. In Wallraffs Film findet sich von alldem kein Wort; genauso wenig denkt er darüber nach, warum er sich überhaupt verkleiden musste. Er hätte in Deutschland lebende Afrikaner und Afrodeutsche bitten können, die Reise durch Deutschland anzutreten, er hätte sie interviewen können, er hätte ihre Erfahrungen sichtbar machen können, anstatt diese Erfahrung als verkleideter Somalier nachzuholen und sie sich dabei anzueignen.

Mehr noch: Wallraff predigt zu den Bekehrten. Den Rassismus findet er in erster Linie im kleinbürgerlichen Mief, in einer Sphäre der Gesellschaft, von der sich der liberal gesinnte Bürger sowieso abwendet. Die Kleingärtner, Hundetrainer und Fußballfans verhalten sich genau so, wie man es vom hässlichen Deutschen erwartet. Das gibt demjenigen, der sich für aufgeschlossen hält, einen "Anderen", von dem er sich nur abgrenzen muss, um sich der eigenen Liberalität zu vergewissern. Und das ist keine Aufklärung, sondern Ressentiment.

Ja!

sagt Daniel Bax, Meinungsredakteur der taz

Der alltägliche Rassismus, dem sich dunkelhäutige Menschen in Deutschland ausgesetzt sehen, ist kein Staatsgeheimnis. Prominente Journalistinnen wie Noah Sow und Mo Asumang oder Musiker wie das Hiphopkollektiv Brothers Keepers haben mehr als einmal darauf hingewiesen, Dutzende von Antirassismusinitiativen arbeiten dagegen an. Es musste also nicht erst ein Günter Wallraff kommen, um auf das Problem aufmerksam zu machen.

Und doch: Ohne Günter Wallraff wäre das Thema jetzt nicht wieder auf allen Kanälen. Dass Wallraff gerne in eine fremde Identität schlüpft, um aus eigener Anschauung über Missstände zu berichten, ist sein Markenzeichen. Diese Methode ist umstritten, seit er seine Karriere als Undercoverreporter begann. Der Vorwurf, dass es ihm dabei mindestens so sehr um eitle Selbstvermarktung wie um die Sache selbst gehe, ist fast so alt wie seine ersten "Industriereportagen" aus den späten Sechzigerjahren.

Heute kann man Günter Wallraff zudem vorwerfen, dass er in seiner neuen Rolle als Pseudosomalier offene Türen einrennt: "Wir" wissen das doch alles schon, außerdem kann man das ja überall nachlesen. Ja und? Solange es Leute gibt, die in Zweifel ziehen, dass rassistische Diskriminierung hierzulande noch immer zum Alltag gehört, so lange trägt ein Günter Wallraff zur Aufklärung bei.

Dass einem weißen Journalisten wie Günter Wallraff als vermeintlich "neutralem" Zeugen mancherorts mehr Glaubwürdigkeit zugebilligt wird als vielen unmittelbar Betroffenen selbst, kann man beklagen. Auch, dass Medien komplexe Sachverhalte gerne auf schlichte Personalitystorys reduzieren. Aber so ist es eben.

Man darf aber Wallraff nicht zum Vorwurf machen, dass die deutsche Mediengesellschaft so funktioniert, wie sie funktioniert. Dass er vor allem für ein weißes Publikum in eine Rolle schlüpft und die Reflexe der Medien so gut zu bedienen weiß, ist so lange kein Problem, wie er damit wirklichen Problemen mehr Aufmerksamkeit verschafft. Denn Aufmerksamkeit ist in unserer Mediengesellschaft ein rares Gut.

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