ANNA LEHMANN ÜBER DAS FATALE NOTENSYSTEM IN DEN SCHULEN
: Reformen sind zu wenig

Bitte benoten Sie diesen Kommentar und berücksichtigen Sie dabei auch die anderen Kommentare. Die Zensur dürfte sich am Durchschnitt orientieren, wobei eine bessere Note noch lang keinen guten Kommentar macht. Wer diese Leistungsbeurteilung allzu anspruchslos findet, der muss konsequenterweise unser Schulsystem in Frage stellen.

Von klein auf werden Kinder hier nach Begabungen sortiert und auf Noten festgelegt. Eine brutale und dumme Selektion, denn sie legt Menschen lebenslang auf die Position des Siegers oder eben des Verlierers fest. Das zeigt auch eine aktuelle Studie über Schulabbrecher. Wer einmal als „ungenügend“ in die Förderschule aussortiert wurde, schafft in der Regel keinen Schulabschluss. Der weitere Weg ist vorgezeichnet: geringe Aussichten auf eine Lehrstelle, unsichere Jobs, der fast sichere Weg in Hartz IV. Das gilt auch für die Mehrheit der Absolventen mit Hauptschulabschluss.

Doch statt über das systematisch ungerechte Schulsystem zu diskutieren, stürzt sich die öffentliche Meinung auf vermeintlich integrationsunwillige Schüler – die ja auch häufig Haupt- und Förderschulen besuchen. Und selbst Eltern- und Lehrerverbände, die sich links nennen, legen nicht den Finger in die Wunde.

Denn sie sind ja Teil des Problems, sie akzeptieren die von Grund auf ungerechte Leistungsbewertung in der Schule. Eine ganze Reihe von Lehrern ist froh, wenn sie sich ihre Klasse über Zensuren so zurechtsanktionieren können, dass die „Dummen“ sitzen bleiben oder von der Schule abgehen.

Wer die soziale Auslese im Großen beklagt, muss auch die kleine Auslese in Form von Noten hinterfragen. Dazu gehört Mut. Die Verbände der Eltern und Lehrer müssen den Mut aufbringen, anzuecken. Nur so kann eine öffentliche Debatte über Zensuren zünden. Und die brauchen wir.

Inland SEITE 6, Sonntaz SEITE 20