Kommt’s auf den Parteichef an?

SPITZEN Westerwelle kämpft ums politische Überleben, die Linke hat’s nach Lafontaines Rückzug schwer. In den Parteien dreht sich alles um Köpfe. Doch viele Bürger rebellieren gegen die Macht der Funktionäre

JA

Sarah Wagenknecht, 41, ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken

Integrationsfigur, Bewahrer und Visionär, Stratege, Rhetoriker und Medienkünstler – Parteivorsitzender zu sein, ist Multitasking pur. Von ihm wird viel erwartet – zu Recht! Schließlich verkörpert der beziehungsweise die Vorsitzende die Partei, prägt und repräsentiert sie nach innen und nach außen. Im Gegenzug für die exponierte Stellung, die er oder sie genießt, ist er aber auch derjenige, der im Wind steht, wenn etwas nicht ganz rund läuft. Auch dies geht in Ordnung – Grundvoraussetzung dafür ist allerdings Loyalität. Ein Parteichef muss sich auf den Rückhalt seiner Partei verlassen können, die ihn schließlich in seine Funktion gewählt hat. Der Erfolg einer Partei beruht auf dem oder den Vorsitzenden – allerdings nicht nur auf ihnen. Verantwortung tragen alle in der Partei, von der Führungsspitze über die Mandatsträger bis hin zum Parteimitglied vor Ort. Entscheidend ist das Zusammenspiel – sonst ist das Gesamtprojekt gefährdet.

Fritz Goergen, 69, Kommunikationsberater, konzipierte die „Strategie 18“ für die FDP

Zum Jahreskraftakt ist der traditionelle Jahresauftakt des Dreikönigstreffens der FDP verkommen, spottet ein Parteiveteran. Trotzdem kommt es bei der FDP weiter auf den Vorsitzenden an. Bei den anderen Parteien auch. Die Grünen und die Linke erlauben sich mehr als eine Person an der Spitze. Lange dauert es aber selten, bis die Medien den einen oder die andere zur Nummer eins ernennen. Bild und Glotze brauchen keine Inhalte, und die Leute auch nicht. Inhalte sind viel zu kompliziert. „Hosianna und kreuziget ihn“ will Gesichter. Daniel Bahr, Christian Lindner und Philipp Rösler rügten eben in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in ihrem „Neujahrsappell“ den Vorsitzenden Westerwelle. Die künftige Troika der FDP? Nein, den Boulevard der öffentlichen Erregung bedient eine einzige Figur viel besser. Einer der drei wird es. Aber erst, wenn niemand mehr daran zweifelt, dass Westerwelle schuld an ein paar verlorenen Landtagswahlen ist. Die Niederlage braucht noch dringender ein Gesicht als der Sieg.

Franz Walter, 64, ist Politologe und Leiter des Göttinger Instituts für Demokratieforschung

Die Sozialdemokraten haben in den letzten 10 Jahren alle möglichen Charaktere und Temperamente an der Spitze ihrer Partei ausprobiert: Den harten Hund, den getreuen Parteifunktionär, den Softie, den Biedermann, den Hansdampf in allen Gassen. Froh wurden sie mit keinem. An den Problemen änderte sich nichts. Die Sozis wussten nicht mehr, was sie für richtig hielten und wohin sie eigentlich strebten. Und so fragten sich die Genossen stets aufs Neue, ob denn nun der Gerd wirklich der Richtige sei. Oder der Franz, der Matthias, der Kurt, der Sigmar. So wie man eine Dekade zuvor die gleichen Zweifel über den Hans-Jochen, den Björn und den Rudolf geäußert hatten. Nochmals: alles andere Typen, aber alle gleichermaßen gescheitert in der Führung ihrer Partei. Struktur schien stärker zu sein als Persönlichkeit. Indes: Eine Person, der Oskar, hatte zwischenzeitlich doch darin reüssiert, die schwierige Partei zu disziplinieren, ihre Truppen zu sammeln, sie zu motivieren, ihnen ein Ziel zu geben – und dort auch 1998 anzukommen. Ein paar Jahre später formierte er – stets geneigt, die gerade errichteten Türmchen wieder umzuwerfen – nahezu im Alleingang, was über ein halbes Jahrhundert niemand in der Bundesrepublik auch nur für denkbar gehalten hätte: Eine linke Partei neben der Sozialdemokratie, die national über 10 Prozent der Stimmen erreichte. Und so kann man weiter in die jüngere Geschichte zurückschauen: ohne Brandt keine sozialdemokratische Volkspartei, ohne Adenauer keine Sammelpartei des Bürgertums und der christlichen Konfessionen, übrigens auch: ohne Westerwelle keine Protestpartei der Mitte. Sie alle brauchten ihre Zeit, um wirken zu können. Sie alle nutzten die Chancen dieser Zeit. Doch merkten sie ebenfalls alle nicht, wenn die Zeit über sie hinwegging. Dann begannen die Führungskrisen – und ein wilder Reigen flüchtiger Vorsitzwechsel setzte ein.

NEIN

Hans-Christian Ströbele, 71, ist Rechtsanwalt und Bundestagsabgeordneter der Grünen

Deshalb hat die grüne Partei gleich zwei, auf die es ankommt, eine Chefin und einen Chef – könnte man meinen. Nein, die Doppelspitze hilft, dass mit Frauenquote auch mal ein Mann eine Chance hat und dass die wesentlichen Meinungen in der Partei auch in der Spitze vertreten sind. Die Grünen fahren ganz gut damit. Denn eine Partei ist kein Schiff, auf dem der Kapitän auf der Brücke allein bestimmt, wo es langgeht. Da irrt Westerwelle. Bei einer demokratischen Partei sollte es eben nicht zugehen wie auf der „Bounty“, wo nur noch die blutige Meuterei blieb, um den Kapitän zur Räson zu bringen. Die Partei sind die Menschen, die sich zusammentun, um gemeinsam politische Ziele zu erreichen, nicht um ihrem Chef Karriere und Macht zu sichern. Das unterscheidet Parteien in autoritären Staaten von denen in einer Demokratie. Bei einer demokratischen Partei kommt’s auf die Basis an. Sie wählt die Leitung auf Zeit und trifft die wichtigen Entscheidungen. Vorsitzende moderieren nur und vertreten nach außen. So sollte es jedenfalls sein. Dann steht die Partei und fällt nicht mit dem Chef, auch wenn der es nicht kann oder nicht bringt.

Kerstin Rudek, 42, ist Vorsitzende der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg

Es kommt ausdrücklich nicht auf den Parteichef an. Und das nicht nur, weil dieses Land keine charismatischen Politiker zu bieten hat. Für eine Partei müssen die Inhalte relevant sein, sonst könnte man von vornherein auf ein Parteiprogramm verzichten. Dementsprechend kann und darf es nicht ausschlaggebend sein, welche Person an der Spitze einer Partei steht. Die Politik muss sich mehr um die Menschen und deren Interessen kümmern, statt sich zum Sprachrohr der Konzerne zu machen. Im Grunde geht es um Mitbestimmung, darum, dass die Bürger stärker in politische Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden. Erst wenn die Menschen nicht nur vor den Wahlen, sondern auch in der Zeit dazwischen gefragt sind, macht Politik Sinn.

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagnachmittag. Wir wählen interessante LeserInnenantworten aus und drucken sie in der nächsten sonntaz.taz.de/sonntazstreit

Sylvia Heimsch, 48, Architektin, sitzt für Parkschützer im Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21

Der Parteichef hat sich für seinen Posten „qualifiziert“ – wobei ich das Gefühl habe, dass seine Seilschaften dabei am wichtigsten sind. Das schwache Erscheinungsbild der Politiker führt zu Auswüchsen wie dem „Guttenberg-Kult“: Äußerlichkeiten, die Charakter suggerieren, reichen aus, höchste Staatsämter – den Parteivorsitz sowieso – anzustreben. Und dann sehnen sich die Bürger nach Politikern von Format und verehren Alt-Politiker wie Helmut Schmidt oder aktuell Heiner Geißler. Die Politik braucht mehr Quereinsteiger, die sich in der Zivilgesellschaft bereits einen Namen gemacht haben. Eine Rotation wie bei den Grünen verhindert, dass zu lange auf eine einzige Person gesetzt wird. Das finde ich gut.

Uli Moll, 48, ist freier Autor aus Fürth und hat das Thema auf taz. de kommentiert

Kommt es auf den König an? Auf den Papst? Auf den Führer? Das ist ein seltsames Denken: Wäre die katholische Kirche mit einem anderen Papst frauen- und schwulenfreundlich? Wäre „das alles“ nicht passiert, wenn Stauffenberg der NSDAP-Chef gewesen wäre? Oder kann es sein, dass „Das Programm“ hier und da wichtig ist? Die FDP hat, wie jede Partei, ihre Mitglieder, die Leute zu Delegiertenkonferenzen schicken, wo dann Programm und Personal bestimmt werden. Der Chef ist die „Spitze des Eisberges“, 95 Prozent der Probleme sind verborgen. Wer eine bessere FDP (oder andere Partei) will, muss ihr beitreten, anstatt das Feld den Idioten zu überlassen. Das Geseiere um Westerwelle lenkt nur davon ab, dass die Parteimitglieder ihn da hingestellt haben – und jetzt enttäuscht sind, weil sie immer noch Steuern zahlen müssen.