DIE STIMMEN DER ANDEREN
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■ Neue Zürcher Zeitung

Frischer Wind in Palästina

Die in Israel betriebene pauschale Verdammung der Hamas ist nicht länger glaubwürdig. In Ägypten erweisen sich die Muslimbrüder […], die das Verhältnis weder zu Israel noch zu den USA grundsätzlich infrage stellen, bis jetzt als tragfähige Säule einer nachrevolutionären Ordnung. Ob die Hamas ebenso den Pfad des Pragmatismus wählt, ist offen. Für die EU gilt sie seit 2004 als terroristische Organisation. Der damals unter Druck der USA gefällte Entscheid gilt in wichtigen EU-Ländern inzwischen als Fehler. Es kann nicht sein, dass europäische Steuerzahler den Aufbau eines Staates Palästina finanzieren, ohne dass dessen wichtigste politische Kräfte einbezogen werden.

■ Jungle World

Syrial Killer

Hafez al-Assad hatte im Jahr 1982 im Kampf gegen einen bewaffneten Aufstand der Muslimbruderschaft die Stadt Hama bombardieren und mindestens 10.000, vielleicht auch 40.000 Menschen töten lassen. Ein Massenmord in dieser Größenordnung könnte derzeit unerwünschtes Aufsehen erregen. Doch solange Assad mit größerem taktischem Geschick als Muammar al-Gaddafi agiert, hat er wohl wenig zu befürchten. Indirekt bestätigte dies Jay Carney, der Pressesprecher des US-Präsidenten Barack Obama. Die Umstände in Libyen seien „einzigartig“ gewesen, da ein Angriff auf „eine Stadt mit einer ziemlich großen Bevölkerung“ (Bengasi) bevorstand, es einen „internationalen Konsens“ gab und die Opposition um Unterstützung gebeten hatte. […] Für die westlichen Regierungen ist die arabische Revolte eine lästige Störung der geregelten Geschäftstätigkeit, für die Autokraten der Region ist sie eine existenzielle Gefahr. Die Oppositionellen in Syrien, aber auch in den Golfmonarchien, können auf internationale Hilfe nicht zählen. Im Familienkreis der Gaddafis wird man nun vielleicht mit Bedauern zur Kenntnis nehmen, dass die Intervention wohl hätte vermieden werden können, wenn man sich Assads diskreterer Methoden bedient hätte.

■ Libération

Die Bombe von Marrakesch

Diese Bombe ist explodiert wie eine tragische Erinnerung an das Zeitalter vor dem arabischen Frühling. Diese Völker kämpfen seit Monaten, sie haben alternde Autokraten abserviert und gleichzeitig Terrorgruppen disqualifiziert. Der Anschlag in Marrakesch wird kaum den Gang der Geschichte umkehren, doch hoffentlich liefert er nicht der Polizei den Vorwand, die demokratischen Bestrebungen zu ersticken.

■ Die Welt

Die Gäste der Royals

Bis Donnerstag noch stand der syrische Botschafter in London auf der Gästeliste der königlichen Hochzeit in Westminister Abbey. Für die früheren Premiers Blair und Brown hatte man keinen Platz. Im UN-Sicherheitsrat verhinderten China und Russland eine kritische Resolution der Europäer gegen Syrien, und es könnte sein, dass Syrien demnächst in die Menschenrechtskommission aufgenommen wird, wo sich auch Libyen und Simbabwe tummelten. […] Die Chancen eines grundlegenden positiven Wandels in der gesamten Region müssten für Präsident Obama, die führenden Politiker Europas und alle verantwortungsbewussten Staatsmänner der Welt Grund genug sein, schonungslos mit dem Despoten von Damaskus umzugehen.

■ Junge Welt

Nix Neues im Ländle

Ein umfassender Politikwechsel ist von der neuen Landesregierung nicht zu erwarten, sieht man von Aspekten im Bildungsbereich ab. Vielmehr wurden […] wesentliche Weichenstellungen vertagt. Die Zukunft von „S21“ wird dem Stresstest und der Kostenentwicklung überantwortet, und falls das nicht klappt, soll das Volk entscheiden. Wobei ein Ausstieg angesichts des hohen Quorums in diesem Falle wohl nicht zustande kommen würde. Mit der im Ländle besonders mächtigen Autoindustrie veranstaltet der designierte grüne Ministerpräsident ein bisschen Schattenboxen, und beim Thema Straßenbau ist er bereits vor der SPD beziehungsweise der Betonlobby eingeknickt. […] Vor energischen Schritten zur Überwindung des selektiven Schulsystems wird sich die Koalition angesichts der Hamburger Erfahrungen hüten.