Ist der Dr. wieder was wert?
JA

TÄUSCHUNG Plagiatsjäger sind weiter hinter falschen Doktoren her. Entweder führt das zu einer neuen Glaubwürdigkeit der Promotion, oder der gute Ruf bleibt auf der Strecke

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taz.de/sonntazstreit

Aleksandra Fedorska, 34, schreibt als Ghostwriterin akademische Arbeiten

Fast alle betreiben ihre Promotion mit ehrlichem Forscherinteresse – sie sollten nicht in Sippenhaft für einige schwarze Schafe genommen werden, die bisher nur aus dem Bereich der Politik kommen. Guttenberg ist anders behandelt worden, weil er Politiker ist, und er nutzte den Sonderstatus offenbar schamlos für seine Doktorarbeit aus. Wer von den vielen Doktoranden in Deutschland verfügt aber über solche Beziehungen? Als Ghostwriterin ist mir außerdem aufgefallen, dass Anfragen über Doktorarbeiten von einer schwierigen, eher älteren Klientel kommen, die außerdem schon lange an keiner Uni mehr war. Der Doktortitel nutzt diesen Menschen für einen leichteren Karriereeinstieg ja überhaupt nichts mehr. Sie betrachten den Doktor als Krönung im Lebenslauf oder als Sahnehäubchen für die Visitenkarte. Solche Anfragen zu Doktorarbeiten bedeuten eine jahrelange Arbeit, und wir lehnen sie kategorisch ab. Ghostwriter begleiten die Forschungsarbeit und sind auf die Mitarbeit ihrer Auftraggeber angewiesen. Bei Guttenberg stand unter dem Strich ein Plagiat und kein Unikat. Das zeigt für mich vor allem eins: Seine Arbeit ist ein schlechter Einzelfall.

Christine Lambrecht, 45, ist Vizevorsitzende der SPD-BundestagsfraktionEin ehrlich erworbener Doktorhut ist immer etwas wert. Ich bin bis heute keine Frau Dr. und kann damit leben. Andere junge Bundestagsabgeordnete und Familienväter hätten wohl besser die gleiche Entscheidung treffen sollen. Meine Promotion stand nach dem zweiten juristischen Staatsexamen und meiner Dozententätigkeit an – die Exegese und umfangreiche Exzerpte waren bereits geschrieben –, doch ich musste kapitulieren. Wie sollte ich eine Anwaltskanzlei betreiben, meine Arbeit als Abgeordnete im Bundestag ernst nehmen, mich um meinen neugeborenen Sohn kümmern und dazu noch eine aufwändige Doktorarbeit schreiben? So eine Entscheidung sollte nur treffen, wer ein solches Werk eigenständig und mit aller Sorgfalt anfertigen kann.

Diethelm Klippel, 68, ist an der Uni Bayreuth Ombudsmann für Selbstkontrolle

Der Doktortitel war immer etwas wert, ist etwas wert und wird immer etwas wert sein. Eine sehr gute Doktorarbeit bleibt die Eintrittskarte für den Hochschullehrerberuf. Außerdem belegt der Titel, dass der Verfasser ein komplexes Thema über eine lange Zeit hinweg erfolgreich bearbeiten, umfangreiches Material strukturieren, darauf aufbauende Ideen entwickeln und alles brauchbar darstellen kann. Das Ergebnis gilt daher zu Recht als Nachweis einer besonderen Qualifikation. Der Verfasser muss einen Beitrag zum wissenschaftlichen Fortschritt leisten, dessen Ausmaß sich in der Note spiegelt.

Andre Berthy, 44, ist Islamwissenschaftler und kommentierte auf taz.de

Ein bloßer Doktortitel ist Politikern oder Statusmenschen etwas wert, der Rest interessiert sich für den wissenschaftlichen Wert einer Dissertation. Silvana Koch-Mehrin und zu Guttenberg wurden Opfer ihres Aufschneidertums, ihrer Selbstgefälligkeit – mit Wissenschaft und Forschung hatten die nie etwas zu tun. Warum Menschen sich jetzt eine Gaudi daraus machen, deren Fehlerhaftigkeit zu entdecken, dürfte klar sein: Sie greifen beim Normalbürger durch, leben gut von Steuern und haben meist Nebeneinkünfte. Das erzeugt Aggressionen. Politiker sollten nicht so tun, als seien sie anders als in Wirklichkeit. Aber deren Nichtsubstanz erkennt jeder zu schnell, und deswegen brauchen sie Titel zur Tarnung.

NEIN

Werner Schneyder, 74, war Österreichs jüngster Doktor und ist Kabarettist

Ich habe erlebt, wie mühsam es ist, wenn der Doktortitel den nichtakademischen Werdegang stört – ja, wenn er geradezu diffamiert. Nach allgemeinen Verständnis ist die Dissertation eine wissenschaftliche Arbeit. Doch jeder intelligente Hochschulabsolvent bricht jetzt in Gelächter aus: 99 von 100 Dissertationen haben damit nichts zu tun, da auf dem jeweiligen Gebiet schon alles x-fach gedacht und formuliert wurde. Wer sich unter der Genieebene herumquält, muss abschreiben. Das geht intelligent oder wie im Fall Guttenberg fahrlässig blöde. Man nehme eine sehr alte Dissertation über den Nestbau der Eulen und verschiebe sie parallel. Dem Konstrukt haarscharf folgend, die Details auswechselnd, übertrage man sie auf Krähen. Dabei schreibt man nicht ab, jedenfalls nicht nachweisbar. Beim Erkunden, was Krähen anders machen, wird man unvermeidlich nachdenklich und hat sogar einen eigenen Einfall. Mit dieser Methode schrieb ich meine Dissertation in 14 Tagen und bekam viele Jahre später in einer Untersuchung der Dissertationen österreichischer Prominenter „hohes wissenschaftliches Niveau“ bestätigt. Das bestreite ich nicht und verneige mich vor dem Denker, dessen Gedankengebäude ich, wie schon gesagt, parallel verschoben habe.

Tobias Bunde, 28, schrieb den offenen Doktorandenbrief an Angela Merkel

Offenbar steht die Kanzlerin der Bildungsrepublik Deutschland bis heute dazu, sie habe mit Guttenberg keinen wissenschaftlichen Assistenten eingestellt. Trotz eindeutiger Belege protestierten Wissenschaftsinstitutionen anfangs zögerlich. Kein Wunder, wenn der Ruf der Wissenschaft leidet und Doktoranden unter Verdacht stehen. Die Plagiate sollten zu einer Debatte anregen: Brauchen wir so viele Dissertationen, bei denen es weniger um wissenschaftliche Erkenntnis als um zwei Buchstaben auf der Visitenkarte geht?

Heiner Hänsel, 43, Hochstapler und Chefredakteur des Frankfurter Magazins

Er ist exakt 57 Euro wert – so viel hat mein erworbener Doktortitel gekostet. Doktorvater Hartmut Mehdorn stellte auf www.bahn.de die entscheidende Frage: „Welcher Titel soll auf die Karte?“ Ich gestehe: Wie mein prominenter Mithochstapler Guttenberg übermannte mich die Angst, den Anforderungen nicht gerecht zu werden. War es meine ungeordnete Arbeitsweise, die chaotische Züge annahm? Ich ließ jede Sorgfalt fallen und wurde mit der Doktorwürde belohnt. Die Bahncard 25 öffnete viele Türen – nicht nur in Zügen. Zugbegleiter waren stets freundlich zu mir, im Supermarkt musste ich nur den Doktor zücken und stand ganz vorn in der Schlange. Auch beim weiblichen Geschlecht („Soll ich dir mal meine Bahncard zeigen?“) nahm ich einen besonderen Platz ein. Doch nun, da fast täglich ein Doktor auffliegt, bin ich nicht mehr sicher. Die Menschen werden misstrauisch. Deshalb bekenne jetzt auch ich und trete in die Riege der reuigen Sünder ein.

Martin Wehrle, Autor, 41, ist Karriereberater und schreibt darüber Bücher

Firmen überschätzen den Doktortitel völlig. Erstens: Wer promoviert, hat meist eine wissenschaftliche Karriere im Visier. Die freie Wirtschaft ist oft nur der Notnagel! Zweitens: Die wichtigste Eigenschaft für eine Führungskraft wird an der Uni nicht gelehrt – soziale Kompetenz. Wer einsam an seiner Doktorarbeit wurstelt und vom Doktorvater wie von einem Sonnenkönig abhängig ist, lernt vor allem zwei Dinge: Einzelgängertum und Autoritätshörigkeit. Forschung mag so funktionieren – moderne Führung nicht.