Debatte Ehec: Bakterien sehen dich an

Die letzten Wochen und der Umgang mit dem Ehec-Erreger haben gezeigt, wie weit es im Umgang mit Lebensmitteln in Deutschland schon gekommen ist.

Ein bizarres Sommergewitter von Schuldzuweisungen- und -zurückweisungen liegt hinter uns; und zwischen den Wolken zucken die Blitze immer noch. "Die Gurke wars!" - "Nein, doch nicht." - "Übeltäter waren Sprossen!" - "Rinder sind dies Mal nicht schuld." - "Mensch ist Ehec-Überträger." - "Frankfurter Bach verdächtig."

Die mediale Verwirrrung mit all ihren Labor- und noch mehr Hobbydetektiven wird zusätzlich gesteigert durch die chaotische Verwendung von Begriffen wie "schuld", "Ursache", "Quelle", obwohl jedes denkbar Unterschiedliches heißen kann: Ist das Tierreich, insbesondere der domestizierte Teil, schuld (im Sinne des Reservoirs), hätte wahrscheinlich der Mensch die Schuld (als Verursacher). Ließe sich der Erreger auf natürliche Vorgänge im menschlichen Darm zurückführen, wäre der Mensch gerade nicht (moralisch) schuld.

Hier brachte selbst ein Gen-Test der Universität Göttingen keine Aufklärung: Über 90 Prozent der Gensequenz des Erregers stammen aus Eaec - einem pathogenen Escherichia-Coli-Bakterium, das auf den menschlichen Darm spezialisiert ist. Anderes Genmaterial stammt aus Ehec - einem anderen E.-Coli-Bakterium, das bei Wiederkäuern vorkommt und dort keine Schäden verursacht, aber ein für den Menschen gefährliches Zellgift produziert. Anscheinend haben zumindest diese zwei Bakterienstämme Genmaterial "getauscht" und einen neuen Stamm gegründet, der gefährliche Wirkungsweisen der "Eltern" kombiniert. Für diesen Neuling schlagen die Göttinger die Bezeichnung Eahec vor.

Von den Steaks war keine Rede

Die Ursachenforschung ist nicht nur von medizinischem Interesse, sondern berührt auch ideologische und wirtschaftliche Fragen. In Öko- und Veganerkreisen wurde an der "Es war diesmal nicht das Fleisch"-Behauptung gezweifelt, gerade weil sie so schnell geäußert und eigentlich nie in Frage gestellt wurde; weil zwar bekannt ist, dass zum Beispiel in dem Lübecker Restaurant viel "Steak und Salat" gegessen wurde, aber von den Steaks nie die Rede war; und weil Ehec-Fälle der letzten Wochen (das Lidl-Hack in Frankreich oder die Salami aus Italien) vergleichsweise wenig Medienaufmerksamkeit erhielten.

Mancher neigte gar zu einer Art Verschwörungsthese, wonach die Sprossen sozusagen als Sündenbock vorgeschickt worden seien. Und ich gebe zu, obwohl ich selbst Veganerin bin, habe ich zunächst gedacht - pardon -, diese Kollegen hätten doch einen an der Reiswaffel. Nachdem ich aber mehrere Tage lang das Internet durchwühlt habe, gewinne ich immer mehr den Eindruck, dass sich auf der Gegenseite der Fleischesser bereits der gute alte Rinderwahnsinn breit gemacht hat.

Strafe für den "Bio-Wahn"?

Eine prominente Website der Veterinärpharmaindustrie zum Beispiel versucht mit allen Kräften den Eindruck zu erwecken, in den vergangenen Jahren hätten vor allem Bioprodukte Ehec enthalten, hält den Verzehr von frischem Obst und Gemüse für gesundheitlich wertlos und nennt die "5 am Tag"-Gesundheitskampagne "verantwortungslos". Auf einer Internetseite für die konventionelle Agrarwirtschaft schimpfen User: "Das Ganze ist eine Vernebelung der Bio-Branche". Und ein Welt-Redakteur bloggt: "EHEC muss von den allmächtigen, perfiden Göttern geschickt worden sein, um dem grassierenden Bio-Wahn einen Schlag zu versetzen?"

Mensch, denke! Selbst wenn hier die Sprossen Überträger waren, spricht dies ja nicht gegen Bio. Im Gegenteil fußt der Umweltschutz-Gedanke gerade darauf, dass jeder auf diesem Planeten, auch der ökologisch vorbildlichste Landwirt und Verbraucher, von den Nachlässigkeiten anderer in Mitleidenschaft gezogen werden kann. Und angesichts solcher Selbstgerechtigkeit gegenüber der Biobranche muss man daran erinnern, dass ganz grundsätzlich die Erklärung neuer resistenter Bakterienstämme unter Experten unstrittig ist.

Egal, wo dieses Eahec jetzt genau herkommt: Mit unbedachtem, breitflächigem Antibiotika-Einsatz züchten wir resistente Keime in Krankenhäusern (dadurch jährlich 30.000 Tote) - und eben in der Massentierhaltung. Bereits im Jahr 2000 informierte das Deutsche Ärzteblatt ausführlich über die "ungehemmte weltweite Verbreitung" von Ehec, der "nur durch gemeinsame und interdisziplinäre Anstrengungen auf medizinischer und veterinärmedizinischer Ebene einschließlich der Tierhaltung und der Lebensmittelproduktion begegnet werden kann". Bei einer Verbreitung durch Obst oder Gemüse "erfolgte die Kontamination (vorher) durch tierischen Kot, Wasser oder Bearbeitungsfehler bei der Herstellung".

Kochen mit Einweghandschuh

In der Huffington Post warnte David Katz, der Direktor des Yale Prevention Research Center, mutante Keime im Essen seien immer darauf zurückzuführen, "wie wir Tiere halten und womit wir die füttern, von denen wir essen". Für die Sendung "Panorama Nord" testete ein Experte des Robert-Koch-Instituts handelsübliche Masthähnchen und fand in ihnen multiresistente Keime (MRSA), die beim Garen zwar abgetötet würden, vom rohen Fleisch jedoch über kleine Wunden in den menschlichen Körper gelangen könnten. Wenn sich jemand richtig schützen wolle, "dann sollte er das mit Handschuhen machen. Aber die Handschuhe hinterher wegwerfen."

Ich selbst finde die Vorstellung eines toten Huhns in meiner Küche ziemlich unappetitlich. Aber davon abgesehen fragt sich sicher auch mancher Fleischesser, wie es so weit kommen konnte, dass man beim Zubereiten heimischer Mahlzeiten Einweghandschuhe tragen muss. Gewiss, in anderen Teilen der Welt muss Wasser vorm Trinken abgekocht werden, und auch in Westeuropa gehörten Epidemien in jedes Jahrhundert. Aber waren wir nicht einmal weiter als heute?

Die Menschen früherer Zeiten bedauern wir, weil sie an einer Mandelentzündung sterben konnten, die heute jeder Hausarzt zu behandeln weiß. Noch. Seit gut einem Jahrhundert besitzen wir, erstmals in der Menschheitsgeschichte, gegen die Bakterien eine scharfe Waffe. Durch unverantwortlichen Einsatz als Keule schlagen wir sie stumpf.

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Hilal Sezgin studierte Philosophie in Frankfurt am Main und arbeitete mehrere Jahre im Feuilleton der Frankfurter Rundschau. Seit 2007 lebt sie als freie Schriftstellerin und Journalistin in der Lüneburger Heide. Zuletzt von ihr in Buchform: „Nichtstun ist keine Lösung. Politische Verantwortung in Zeiten des Umbruchs.“ DuMont Buchverlag 2017.

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