Kommentar Mediale Attentatsanalyse: Terrorexperten? Errorexperten!

Ein Experte sollte, so die Definition seiner Aufgabe, Fakten abwägen und dann seine Einschätzung geben. Die Terrorexperten haben damit per Definition versagt.

Norwegen war eindeutig der Super-GAU der Terrorexperten. Was da schon wenige Minuten nach dem Bekanntwerden des Anschlages über dessen Hintergründe vermeintlich analysiert wurde, lässt sich als größtmöglich anzunehmender Unsinn beschreiben. Seien es die öffentlich-rechtlichen Sender wie ARD oder ZDF oder private wie NTV oder N24 - auf allen Kanälen schwadronierten die vom Fernsehen ernannten Fachleute über politische Militanz und erzählten aus dem islamistischen Nähkästchen. Binnen kurzer Zeit hatten sie die Öffentlichkeit zu Fachleuten über die skandinavische al-Qaida-Szene gemacht und Wasser auf die Mühlen der allumfassenden Islamophobie gegossen.

Die angebotenen Beweisführungen für den islamistischen Hintergrund kamen eigentlich einer permanenten Beleidigung des Intellekts der Zuschauer gleich. "Autobombe + viel Sprengstoff = kommt von da unten, von den dänischen Karikaturen-Hassern", lautete im Groben und Ganzen das unseriöse Angebot der sogenannten Fachleute des Terrors.

Nun muss man einräumen, dass unsere Terrorexperten wirklich nicht zu beneiden sind. Kaum hat es geknallt, schon müssen sie auf Sendung, und los geht es mit dem Kaffeesatz-Lesen - und das in einer Zeit, in der noch keinerlei Fakten auf dem Tisch liegen. Was soll der arme ARD-Terror-Becker auch antworten, wenn er von der Tagesthemen-extra-Moderatorin gefragt wird: "Die Behörden vermuten einen islamistischen Anschlag, welche Hinweise gibt es darauf?" Man fragt sich natürlich, von welchen Vermutungen die Moderatorin eigentlich spricht, da sich die norwegischen Behörden klugerweise zu diesem Zeitpunkt noch nicht über einen Täterhintergrund geäußert haben. Aber eine solche Antwort wäre viel zu unspektakulär und ziemt sich nicht für den renommierten Terrorexperten.

Ein Experte sollte, so die Definition seiner Aufgabe, Fakten abwägen und dann seine Einschätzung geben. Manchmal würde so mancher Journalist oder Experte mit der Aussage "Wir wissen es noch nicht" mehr Glaubwürdigkeit beweisen. Das aber wiederum entspricht nicht dem Medien-Echtzeit-Terror, in dem der Anschlag bereits geklärt sein will, wenn sich noch nicht einmal der Staub gelegt hat. Aber das ist ein anderes Thema.

Man sucht sich zu erinnern, wann so ein Terrorexperte der Öffentlichkeit schon einmal zu einem echten Erkenntnisgewinn verholfen hat. Wenn überhaupt, dann waren die Aussagen der Terrorexperten weit weniger erhellend als die des Polizeireporters oder der ersten Pressekonferenz. In diesem Sinne sind die Terrorexperten nur Lückenfüller, sie nehmen die Funktion einer Vorgesangstruppe ein. Bevor die Musikband des Abends mit den ersten Hinweisen oder gar Beweisen aufwarten darf, dürfen sie ein wenig schlechte Stimmung machen und Angst verbreiten.

Vielleicht sollten die Medien einfach in Fällen wie Oslo für ein paar Stunden den Mut zur Lücke versuchen. Wenn sie zu dieser Größe gefunden hätten, dann ließe er sich ersatzlos streichen: der Berufsstand des Errorexperten.

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Karim El-Gawhary arbeitet seit über drei Jahrzehnten als Nahost-Korrespondent der taz mit Sitz in Kairo und bereist von dort regelmäßig die gesamte Arabische Welt. Daneben leitet er seit 2004 das ORF-Fernseh- und Radiostudio in Kairo. 2011 erhielt er den Concordia-Journalistenpreis für seine Berichterstattung über die Revolutionen in Tunesien und Ägypten, 2013 wurde er von den österreichischen Chefredakteuren zum Journalisten des Jahres gewählt. 2018 erhielt er den österreichischen Axel-Corti-Preis für Erwachensenenbildung: Er hat fünf Bücher beim Verlag Kremayr&Scheriau veröffentlicht. Alltag auf Arabisch (Wien 2008) Tagebuch der Arabischen Revolution (Wien 2011) Frauenpower auf Arabisch (Wien 2013) Auf der Flucht (Wien 2015) Repression und Rebellion (Wien 2020)

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