SPD-Politiker Ceyhun über die Nazimorde: "Gesellschaft ist weiter als Behörden"

Den Migrationsexperten und SPD-Politiker Ozan Ceyhun überrascht, wie überrascht viele deutsche Politiker über das Vorhandensein von rechtsextremen Gewalttätern isind.

"Ich bin todsicher, dass Deutschland beim Kampf gegen Rassismus riesige Schritte gemacht hat" – Deutsche und Türken bei einem Schweigemarsch in Hamburg am Samstag. Bild: dpa

taz: Herr Ceyhun, nach Bekanntwerden des rechtsextremen Hintergrundes der Morde an neun Migranten in Deutschland ist die Bestürzung groß. Der Außenminister spricht der Türkischen Gemeinde sein Beileid aus und die Bundeskanzlerin teilt dessen Erschütterung. All das aber erst, nachdem die Türkische Gemeinde Deutschland politische Reaktionen laut einforderte. Warum ist das so?

Ozan Ceyhun: Erstens reagiert die deutsche Politik immer sehr langsam – auf innen- und außenpolitischer Ebene. Zweitens hat die heutige Bundesregierung aber auch Schwierigkeiten mit dem Thema Türken in Deutschland, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit. Bis die Verantwortlichen da durchblicken, was zu tun ist, brauchen sie viel Zeit. Oder eben den Anstoß von außen, durch Medien oder eben die Türkische Gemeinde.

Wie finden Sie diese Beileidsbekundungen – sind sie angemessen oder etwas peinlich aufgrund ihrer Verspätung?

Ich finde das trotz allem erst mal gut. Es sind viele Fehler gemacht worden, was diese Morde betrifft. Es wurde etwa behauptet, dahinter stecke die türkische Mafia oder gar der türkische Geheimdienst – man hat die Täter viel stärker unter den Türken als anderswo gesucht. Jetzt wissen wir, dass es Taten von Rechtsradikalen waren. Und vor diesem Hintergrund ist diese fast übertriebene Reaktion dennoch gut.

1960 geboren, war von 1990 bis 1992 Mitarbeiter der Bundestagsgruppe von Bündnis 90. Von 2000 bis 2004 war er für die SPD Abgeordneter im EU-Parlament. In Kürze erscheint sein Buch "Deutscher wirst Du nie".

Wichtig ist sie vor allem als Signal an diejenigen, die in den Städten und Gemeinden als Bürgermeister oder Landräte oder in anderen Funktionen politische Verantwortung tragen. Sie werden dadurch motiviert, vor Ort auch das Notwendige zu tun: Die Menschen aus der Türkei zu besuchen, mit ihnen zu reden und ihnen deutlich zu machen, dass sie tatsächlich Mitglieder dieser Gesellschaft und Bürger dieses Landes sind.

Wie kommen diese Aktionen in der Türkei an?

Man freut sich, dass die deutsche Politik jetzt richtig handelt. Auch in der Türkei machen die Menschen sich übrigens Gedanken darüber, ob die türkische Seite sich anders hätte verhalten können, ob sie zu lange abgewartet hat. Die Türkei hätte für die Opfer, die türkische Staatsbürger waren, auf ernsthaftere Aufklärung drängen können. Da sind auch auf türkischer Seite Fehler gemacht worden.

Hier wird jetzt über ein NPD-Verbot und ein Zentralregister für Rechtsextreme diskutiert.

Ich bin als Demokrat grundsätzlich gegen Parteiverbote, weil ich nicht glaube, dass man mit Verbotspolitik etwas verhindern kann. Wir brauchen andere Maßnahmen, wenn wir verhindern wollen, dass der Sohn eines Professors Türken umbringt. Und zuallererst ist jetzt wichtig herauszufinden, wie blind die Sicherheitsbehörden auf dem rechten Auge genau sind.

Hat Sie das überrascht?

Mich überrascht vielmehr, wie viele Politiker jetzt überrascht sind oder so tun. Innenpolitiker sollten schon in der Lage gewesen sein, die Gefahr des Rechtsextremismus richtig einzuschätzen. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte jetzt nicht so überrascht von einer Schande für Deutschland reden. Mit dieser Schande leben wir seit Jahren.

Sie haben sich nach einem irritierenden Erlebnis mit dem damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der Sie als sein Parteimitglied und deutschen Abgeordneten gefragt hatte, warum "Ihre Landsleute" in der Türkei Recep Erdogan wählten, aus Deutschland und der deutschen Politik zurückgezogen.

Nicht ganz. Ich bin immer noch Mitglied der SPD. Aber ich bin Doppelstaatler, ich lebe heute in beiden Ländern, bin in der SPD und in der hiesigen Kommunalpolitik aktiv und berate auch einen sozialdemokratischen Bürgermeister in Istanbul. Es ist eine Herausforderung, aber ich habe festgestellt, dass man sehr wohl aktives Mitglied von zwei Gesellschaften sein kann.

Dennoch heißt Ihr Buch, das Anfang nächsten Jahres erscheint: "Man wird nie Deutscher". Das klingt nicht optimistisch.

Aber das ist nicht negativ gemeint! Ich habe die deutsche Staatsbürgerschaft und bin Türke. Und das ist überhaupt kein Problem. Auch die Deutschen brauchen damit kein Problem zu haben. Im Gegenteil, solche Doppelidentitäten können für Deutschland von Vorteil sein.

Sieht derzeit nicht so aus, als würde das hier erkannt.

Ich bin todsicher, dass Deutschland beim Kampf gegen Rassismus riesige Schritte gemacht hat – wenn auch sicher noch nicht genug. Aber gesellschaftlich sind wir auf jeden Fall weiter als auf der Ebene der Politik und der Sicherheitsbehörden.

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