Muss gutes Essen teurer sein?
JA

ERNÄHRUNG 40.000 Hühner in einem Stall, Antibiotika auf dem Teller – an diesem Samstag demonstrieren Tierschützer und Kleinbauern in Berlin gegen die Agrarindustrie

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt.

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Antwort aus und drucken sie dann in der sonntaz.

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Sarah Wiener, 49, ist Köchin und Bio-Botschafterin des Umweltministeriums

Die Streitfrage impliziert, dass gutes Essen billig sein kann. Billig oder teuer sind Kategorien, die sich die meisten Menschen nur in Geldwerten vorstellen können. Teuer bedeutet dabei: wenn es mich so viel Geld kostet, dass ich den Gegenwert für nicht angemessen halte. Doch: Was ist gutes Essen und was ist teuer? Wir haben die billigsten Lebensmittel in ganz Europa, die größte Discounterdichte – und den schlechtesten Geschmack. Wir kaufen nach Aussehen und Lagerfähigkeit. Weil Lebensmittel so billig sind, schmeißen wir Tonnen in den Müll. Weil Fleisch so billig ist, essen wir nur noch Filet und Rücken, der Rest wird exportiert oder zu Hundefutter. Wir essen keine Tiere mehr, sondern die Ware Fleisch. Dafür kann sich jeder Fleisch in rauen Mengen leisten. Wir können essen, was wir wollen, und das zu einem Preis, der uns heute günstig erscheint. In den Industriestaaten haben die Menschen Übergewicht und sind trotzdem mangelernährt. Die Ausgaben für ernährungsbedingte Krankheiten gehen in die Milliarden. Unser übermäßiger Fleischkonsum verursacht Herz-Kreislauf-Krankheiten und Übergewicht. Die Zahl der Lebensmittelallergien steigt. Unfruchtbarkeit nimmt zu. Ein industrielles Fertigprodukt kann in Geschmack und Aussehen mit Hilfe von Lebensmittelzusatzstoffen, Aromen, Emulgatoren, Farb- und Konservierungsstoffen billiger nachgebaut werden als das Original aus soliden Grundnahrungsmitteln. Das ist für mich als Köchin ein Grund zum Fürchten. Unser Konsum kommt uns, die Natur und künftige Generationen teuer zu stehen. Sehr teuer. Gutes Essen hingegen muss seinen Preis haben!

Rita Vorläufer, 60, betreibt seit 1986 den Bioladen „Bio in Zabo“ in Nürnberg

Da gute Qualität Kosten verursacht, sind Bio-Lebensmittel tendenziell oft teurer als konventionelle Erzeugnisse. Dennoch muss niemand auf gutes Essen mit hochwertigen Zutaten verzichten. Für ein selbst gekochtes Mahl aus dem Bioladen muss man oft sogar weniger Geld ausgeben als für ein Fertiggericht vom Discounter oder ein Menü aus dem Fastfood-Restaurant. Wer billige Lebensmittel im konventionellen Handel kauft, muss aber mit erheblich schadstoffbelasteten Produkten rechnen. Mitunter können die Erzeuger der Billigwaren keine akzeptablen oder auch nur kostendeckenden Preise durchsetzen. Dies verführt aus ökonomischen Gründen zu Verstößen gegen Lebensmittelvorschriften und Bestimmungen des Umweltschutzes. Lebensmittelskandale beweisen diesen Zusammenhang seit Jahrzehnten. Die Kosten zur Bewältigung der Umwelt- und Gesundheitsschäden, die durch derartige Entwicklungen hervorgerufen werden, tragen alle Bürger. Volkswirtschaftlich betrachtet ist billiges Essen also ziemlich teuer.

Carolin von Schmude, 21, studiert in Tübingen und kommentierte auf taz.de

Natürlich ist Soja- oder Reismilch teurer als 19-Cent-Kuhmilch oder Billigfleisch, aber man sollte Prioritäten setzen. Wenn man ausblenden kann, dass Tiere für billige tierische Nahrungsmittel unglaubliche Qualen erleiden müssen, sollte man wenigstens an die eigene Gesundheit denken. Wer möchte schon Antibiotikum in Billigfleisch oder Eiter in Billigmilch konsumieren? Die Lebensmittelindustrie hat gemerkt, dass die Nachfrage nach veganen Produkten steigt, weswegen man inzwischen in jedem herkömmlichen Supermarkt die pflanzlichen Alternativen zu erschwinglichen Preisen bekommt, wie auch andere Bio-Produkte. Zum Beispiel Fleisch, Milch, Eier oder Gemüse. Außerdem lohnt es sich, bei den Bauern oder Metzgern in der Umgebung vorbeizuschauen. Die Lebensmittel dort sind nicht so günstig wie im Discounter, aber sie sind bezahlbar. Ich bin Studentin, komme aus keiner reichen Familie und falle trotzdem nicht vom Fleisch!

NEIN

Johannes Remmel, 49, Grüne, ist Minister für Umwelt und Verbraucherschutz in NRW

Nicht teuer oder billig, sondern gut oder schlecht: Das muss die Frage sein! Denn nur gute Lebensmittel haben auf dem Markt etwas zu suchen. Bei Autoreifen versteht man das sofort: Einem Hersteller, der einen schlechten Reifen auf den Markt bringen will mit dem Hinweis, dass der billiger sei, würde man vorhalten, er habe nicht mehr alle Tassen im Schrank, schließlich gehe es um ein Maximum an Sicherheit. Und auch die übrigen Verkehrsteilnehmer würden durch Billigreifen in Gefahr gebracht! Im Falle der Lebensmittel sind es Menschen an anderer Stelle in der Welt, die die Zeche für unsere Ernährungsgewohnheiten zahlen, oder die Umwelt, die die Folgen der Intensivtierhaltung oft nicht bewältigen kann. Während das Gebot der Qualitäts- und Sicherheitsmaxime beim Autoreifen unmittelbar einleuchtet, scheint beim Lebensmittel die Schmerzgrenze für manchen etwas flexibler zu sein. Das ist in meinen Augen zynisch, sonst nichts. Lebensmittel sind gut – oder es sind eben keine! So einfach ist das – und so schwer.

Jan Kunath, 46, ist im Rewe-Konzernvorstand zuständig für den Discounter Penny

Es greift zu kurz, vom Preis eines Lebensmittels auf seine Qualität schließen zu wollen. Die Lebensmittel in Deutschland haben bereits eine hohe Qualität. Gutes Essen muss auch nicht teuer sein. Was wir benötigen, ist eine bewusstere und veränderte Wertschätzung für Lebensmittel. Diese zeigt sich in einem verantwortungsvolleren Umgang mit Lebensmitteln – Stichwort Mindesthaltbarkeitsdatum, das kein Verfalls- oder Ablaufdatum ist. Das zeigt sich aber auch in einem veränderten Umgang mit den Ressourcen – Stichwort Nachhaltigkeit. Deshalb müssen wir uns Herausforderungen wie der Massentierhaltung und deren Auswirkungen stellen. Wir müssen sie wissenschaftlich untersuchen, bewerten und meistern. Ich bin überzeugt, dass dies gelingt. Die Fehlentwicklungen, die es gibt, sind nicht allein preisbedingt, sondern spiegeln einen Verlust des Respekts vor Natur und Kreatur wider. Das müssen wir – gemeinsam mit unseren Kunden – wieder ändern.

Rozsika Farkas, 54, ist Journalistin und Autorin des Ernährungsratgebers „Arm aber Bio!“

Wenn der Erzeuger schonend mit der Umwelt umgeht und damit fair gegenüber unseren Nachkommen ist; wenn er Tiere anständig behandelt; wenn er selbst vom Verbraucher fair entlohnt wird – dann ist der Preis höher als bei einer Produktion, die hemmungslos ausbeutet. Aber: Deshalb ist gutes Essen nicht notwendig teuer. Wer nur wenig Fleisch isst, saisonale Produkte bevorzugt und alles selber macht, kann anständige Lebensmittel kaufen, ohne teurer zu essen. Selbstgebackenes aus Biozutaten kostet nicht mehr als Fabrik-Schund vom Discounter. Die Mehrinvestition: etwas Zeit und Aufmerksamkeit. Dann hat man für wenig Geld das beste Essen.

Matthias Horst, 64, Geschäftsführer des Lobbyverbands der Lebensmittelwirtschaft BLL

Gutes Essen ist sicheres Essen! Und die Lebensmittel in Deutschland sind sicher – unabhängig vom Preis! Darauf können wir stolz sein: Jeder kann sich ausgewogen, gesund und gut ernähren. Nicht zuletzt durch die Discounter haben wir Preise, die EU-weit ausgesprochen günstig sind. Natürlich gibt es aber unterschiedliche Qualitätsstufen, die etwa mit den verwendeten Zutaten, der Herstellungsweise oder der Nachhaltigkeit zu tun haben. Jeder Mensch entscheidet täglich aus dem riesigen Angebot für sich selbst, was für ihn wichtig ist. Gutes Essen muss nicht teuer sein.