HANNES KOCH ÜBER DIE KRITIK AM KAPITALISMUS BEIM WELTWIRTSCHAFTSFORUM
: Dynamik auch ohne Wachstum

Kritik am Kapitalismus ist neuerdings en vogue. Selbst Klaus Schwab, Chef des Managertreffs von Davos, hat sie auf die Agenda gesetzt. Mehr Regulierung für die Märkte, höhere Steuern auf große Einkommen und Vermögen, mehr Investitionen in öffentliche Infrastruktur und Bildung – auf eine solche Politik können sich mehr Leute einigen als früher. Der Zeitgeist dreht sich. Schwieriger ist die Frage des Wachstums. Haben wir zu viel, ist weniger ratsam?

Kritik am Wirtschaftswachstum ist eine Luxusdebatte. Die Menschen in China, Indien oder Afrika wollen sie nicht, solange ihre Grundbedürfnisse nicht erfüllt sind. In den alten Industrieländern aber scheint das kapitalistische Wirtschaftssystem an seine Grenzen zu stoßen. Die Wachstumsraten sinken, Ausnahmen bestätigen die Regel. Damit fällt es schwer, das Versprechen der Marktwirtschaft auf Teilhabe für alle einzulösen.

Möglicherweise sollten wir uns damit abfinden, in einer Gesellschaft zu leben, deren Wohlstand nur noch wenig zunimmt. Das aber setzt einen neuen Gesellschaftsvertrag voraus. Bei insgesamt stagnierendem materiellen Niveau geht es nicht, dass einzelne Gruppen, etwa die Banken, Fantasierenditen für sich beanspruchen.

Aber will man in einer müden, langsamen Gesellschaft leben? Was ist mit Studenten, die in den behäbigen Firmen keine Stellen finden? Vielleicht ist es Teil einer Lösung, die Bedingungen für Unternehmen und Firmengründer dort zu verbessern, wo es nicht schädlich ist. Viele Genehmigungen und Regularien könnte man sich sparen. Das gilt auch für soziale Unternehmen, Genossenschaften und andere experimentelle Formen, die im heutigen Kapitalismus nicht vorgesehen sind. Wenig Wachstum muss nicht wenig Dynamik heißen.

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