Der Kettenhund

Noch immer ist er da, der Sound der Reformen, wenn die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) auftritt: „Chance 2020“ heißt ihr Papier, das die Lobbytruppe diese Woche rechtzeitig vor den Koalitionsverhandlungen vorstellte. Mit von der Partie: Wolfgang Clement, der Kettenhund der Schröder-SPD, mittlerweile Kuratoriumsvorsitzender der INSM.

„Chance“ – das Wort stand im Neusprech der neoliberalen Reformer immer für das Gegenteil, nämlich den Abbau sozialer Rechte. Christoph Schlingensiefs Partei „Chance 2000“ hat dies mit dem Slogan „Scheitern als Chance“ persifliert. Aber die INSM ist gänzlich ironiefrei. Manchmal erinnert sie an eine kommunistische Sekte, die noch immer an die Verführungskraft von Parolen wie der „Diktatur des Proletariats“ glaubt.

Dass die besten Zeiten hinter ihr liegen, ist aber auch der INSM nicht entgangen. In der „Chance 2020“ wird sie immer sehr deutlich, wenn sie vermutet, gesellschaftliche Mehrheiten hinter sich zu haben, etwa bei der Forderung nach staatlicher Schuldenreduzierung, und verschwiemelt, wenn sie sich in der Defensive glaubt. Die Forderung, Sozialleistungen weiter abzubauen, muss man etwa zwischen den Zeilen des Absatzes „Wohlfahrtsstaat fokussieren: Hilfe auf die Schwächsten konzentrieren“ herauslesen.

Ihre ganze ideologische Verwirrtheit zeigt die INSM im Abschnitt „Teilhabe ermöglichen: kein Mindestlohn“: „Der richtige Weg zur Sicherung von Bedarfsgerechtigkeit führt über staatliche Transfers, die mittels Steuern finanziert werden – nicht über gesetzlich festgelegte Lohnuntergrenzen“, heißt es darin. Im Klartext: Der Staat soll weiterhin Niedriglöhne aufstocken. Die deutschen Neoliberalen sind eben nur so lange staatsfern, wie es den Unternehmen nutzt. MARTIN REEH