Kleine Männer, zu hoch gestiegen

Er spricht von einem „widerwärtigen und hinterhältigen Angriff“, wettert gegen die „Medienlobby“ und jammert, dass „nicht einmal die Intimität der Familie“ gewahrt worden sei.

Wer sich hier beschwert, ist nicht der seit Donnerstag als verfolgte statt verfolgende Unschuld zu titulierende Christian Wulff und auch nicht der Bushido der deutschen Politik Sebastian Edathy, sondern der türkische Prügelpremier Erdogan.

So langsam müssen wir uns hier in Deutschland mal Gedanken machen, wann und wo uns welche Whistleblower und Privatsphäreverletzer in den Kram passen und wann und wo nicht. Und diese Frage, aber auch die, inwiefern er eigentlich Empathie für die Kinder empfindet, die er sich vermutlich auf seinen Rechner geladen hat, hätte Sebastian Edathy zum Beispiel am Donnerstag bei „Beckmann“ im Ersten beantworten können. Dort aber ging es um die „Rüpelrepublik“, ein echtes Burner-Thema.

Es ist Edathys gutes Recht, sich auf die Rolle des Verfolgten zurückzuziehen, sich in der Frage seines angeblich geklauten Laptops wie ein Kleinkrimineller zu benehmen und Niedersachsens Justizministerin zu ersuchen, sie möge der Staatsanwaltschaft Hannover die Zuständigkeit für sein Verfahren entreißen. Wie ein CSU-Amigo, der meint, persönlichen Trouble auf dem ganz kleinen Dienstweg erledigen zu können.

Aber drehen wir die Sache mal anders. Sebastian Edathy hat sich riesige Verdienste um das Gemeinwesen erworben – nicht nur, aber doch vor allem mit seiner Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss. Wer sagt eigentlich, dass er sich nicht, wenn er über sich selbst spräche anstatt immer nur über das Unrecht, das ihm widerfahren sei, ebensolche Verdienste erwerben könnte? Wenn diejenigen, wie es sehr schön in der taz hieß, die ganz sicher wissen, dass die Perversen immer die anderen sind, sich mit einem Menschen auseinandersetzen müssten und nicht mit einem, der sich versteckt und jedenfalls nicht zuletzt vor sich selber wegläuft? Gerade ein Politiker muss in der Lage sein, politisch auf Krisen zu reagieren – und das kann in den Zeiten, in denen wir nun mal leben, eben auch bedeuten: Er muss als Privatmann reagieren, er muss Betroffenheit zumindest heucheln – wenn auch möglichst nicht ganz so schlecht wie SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann in der, tja, Friedrich-Affäre.

Gegen den ehemaligen Bundesinnenminister wird nun auch ermittelt, denn sein Rechtsverständnis geht so: „Wenn es ein Gesetz gibt, das einen zwingt, nicht Schaden vom deutschen Volk, von der Politik von Amts wegen abzuhalten, dann muss man dieses Gesetz sofort aufheben.“ Friedrichs Fall erinnert damit an den des Frankfurter Polizeipräsidenten Wolfgang Daschner. Der hatte im Entführungsfall Jakob von Metzler dem geständigen Entführer Magnus Gäfgen Folter angedroht, wenn er den Aufenthaltsort des Jungen nicht preisgäbe. Im folgenden Gerichtsverfahren bekam Daschner 2004 für dieses Androhen einer „Rettungsfolter“ ein äußerst mildes Urteil. Zuvor hatte er in zahlreichen Stellungnahmen der Presse gesagt, sein Verhalten sei gerechtfertigt, ja geboten gewesen, und kämpfte für seine volle Rehabilitierung.

Und das war natürlich mehr als eine Dummheit. Daschner zeigte damit, dass er ein überforderter Mann war, der nie so hoch hätte steigen dürfen. Es ist klar, dass man nicht foltern darf, klar, dass man keine Dienstgeheimnisse verraten darf, klar, dass man als profilloser Provinzheini sich nicht an eine schmutzige Vereinigung wie die Bild-Zeitung ketten darf, um Karriere zu machen; und klar ist auch, dass man als hochrangiger Politiker nicht am Rande des Strafbaren in einem Bereich wie der Kinderpornografie im Web surft.

Man kann das selbstverständlich alles trotzdem tun. Als Individuum. Man kann damit leben, vielleicht im Frieden mit sich selbst, vielleicht im quälenden inneren Konflikt, vielleicht sogar mit Stolz. Aber man kann nicht die Normen dem eigenen Verhalten anpassen wollen. Man ist allein – und das hat der Deutsche nicht gern. Ihn zieht es ins Kollektiv, ins Heimelige, in die SPD, wo es nach einem Diktum von Edathy-Laudator Gerhard Schröder wie in einem Schafstall zugeht: Wenn man reinkommt, stinkt es, aber wenn man drin ist, dann ist es schön warm.

So. Überleitung. Im bayerischen Kempten werden im Spind des Leiters der Drogenfahndung 1,6 Kilogramm Kokain gefunden. Über Kempten als Stützpunkt des globalen Kokaingroßhändlers – der italienischen ’Ndrangheta – wird unter Antimafiaaktivisten seit Jahren diskutiert. Aufgeflogen war der korrupte Bulle, weil er seine Ehefrau schwer misshandelt und diese die Polizei gerufen hatte. Ob das als Rechtfertigung für das Öffnen seines Spinds ausreicht? AMBROS WAIBEL