Der Staatsdiener

Kalabrien ist das Vorpommern Italiens: am Meer, arm, im Würgegriff krimineller Banden – und wunderschön.

Damit sind die Analogien nicht ausgeschöpft: Wenn die Nazis im Nordosten es mal wieder gar zu braun treiben, ist es sicher wie das „Heil Hitler“ im Dorfkrug, dass sich ein Bürgermeister einer ehemaligen Blockpartei findet, der dreist leugnet, sein hübsches Dorfow oder malerisches Kaffin habe ein Problem mit der eingeborenen oder bewusst zugezogenen Sturmabteilung. In Kalabrien, der italienischen Region mit den meisten Mafia-Angehörigen, geht man gegen angebliche Nestbeschmutzer von außen genauso aggressiv-heuchlerisch vor – man hockt zu gern im hausgemachten Unrat.

Dies- wie jenseits der Alpen eingespielt ist auch das Ritual, dass die überregionalen Medien SEK-mäßig einfliegen, das barbarische Treiben in der exotischen Pampa „featuren“ und die Gegend dann wieder sich selbst überlassen. Am Abend sitzt man schon wieder in der Szenekneipe in Berlin oder Rom und kann Schauergeschichten zum Besten geben– und ganz selten auch mal eine Heldensaga.

Andrea Marino (Foto) heißt diesmal der Gefeierte. Am 2. Juli hatte der Leiter der Polizeistation im kalabrischen Oppido Mamertina die traditionelle Marienprozession aus Protest verlassen, weil die Träger der Statue vor dem Anwesen eines ’Ndrangheta-Bosses Halt machten und die Gottesmutter sich vor dem Hausarrest genießenden Don verbeugen ließen – eine Reverenz, die Marino bei einer Vorbesprechung ausdrücklich untersagt hatte. Kirchenvertreter taten, als hätten sie nichts gesehen. Der Bürgermeister meinte, als die Routine zur Affäre geworden war, man mache das schon seit 30 Jahren so. Und in Vorpommern sagt man eben: Seit ’33 machen wir das so. AMBROS WAIBEL