STEFAN REINECKE ÜBER DIE LINKSPARTEI UND DIE DDR ALS UNRECHTSSTAAT
: Kluge Thesen, mies vorbereitet

Ramelow & Co vergaßen, eine Debatte über das Reizwort zu führen. Das ist schlechtes Handwerk

Schon wieder die Debatte über die DDR als Unrechtsstaat? Muss das alle fünf Jahre sein? Der Begriff hat etwas Flirrendes, einen vagen semantischen Rand. Manche mögen darunter verstehen, dass die DDR schon 1949 ein illegitime Fehlgeburt war. Das hat etwas von billiger retrospektiver Besserwisserei. Andere verstehen darunter, dass die DDR eine Art Feudalsystem war, indem die rechtsstaatliche Fassade nur verbarg, wie das erste Gesetz der DDR lautete: Alles ist dem Machterhalt des Politbüros untergeordnet. Und so war es.

Die Linkspartei in Thüringen hat mit SPD und Grünen ein kluges, austariertes Thesenpapier verfasst. Die DDR wird in knappen Strichen als von Willkür geprägte Diktatur skizziert, ohne Gut/Böse-Stereotype zu bedienen. Die DDR, so steht es dort, bestand aus mehr als Stasi-Tätern und -Opfern. Außerdem will eine von Ramelow geführte rot-rot-grüne Regierung mehr Geld für die Aufarbeitung der SED-Diktatur und deren Opfer, wie Heimkinder, lockermachen. Das zählt am Ende mehr als alle Thesenpapiere.

Aber dort steht eben auch: Die DDR war ein Unrechtsstaat. Dass die Linksparteispitze in Thüringen nun verwundert ist, dass auch Ost-Reformer davon nicht viel halten, ist selbst verwunderlich. Dass die Öffentlichkeit sich nicht über das differenzierte Papier beugt, sondern im Reiz-Reaktions-Schema auf das Signalwort Unrechtsstaat reagiert – das war vorhersehbar. Noch merkwürdiger ist, dass die Spitzen von Linkspartei und Grünen bereits 2009 während der Sondierungen ein Papier verfassten, in dem sich das Wort Unrechtsstaat fand. Doch offenbar haben Ramelow & Co seitdem vergessen, eine klärende Debatte über das Reizwort in den eigenen Reihen zu führen. Ein verändertes DDR-Bild oder eine neue Semantik aber lässt sich schlecht mit Koalitionszwängen begründen. Diese Debatte ist kein gutes Vorzeichen für eine mögliche rot-rot-grüne Regierung in Erfurt.

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