GEHT’S NOCH?
: Wir Nutzersklaven

WHATSAPP MACHT HAKEN BLAU. UND ALLE DREHEN DURCH. WIE SEHR WOLLEN WIR UNS NOCH DER TECHNIK UNTERWERFEN?

Seit fünf Minuten schon ist der Haken blau. Noch immer keine Antwort. Nervös daddeln die Finger auf dem Smartphone rum: Nachrichtenseite geupdatet, Mails gecheckt. Aber der Dings hat noch immer nicht geantwortet …

Es ist eine winzige Designentscheidung, die der Messagingdienst WhatsApp getroffen hat: Wenn der Gesprächspartner eine Nachricht nicht nur empfangen, sondern auch gelesen hat, färben sich zwei gräuliche Häkchen neuerdings blau. Eine banale Veränderung. Aber eine, die erwachsene Menschen in den Souveränitätsstatus pickliger Teenager zurückversetzt. Schlechter Sex oder Atem, Beleidigung, Machtspielchen – all diese Motive werden durchgespielt, wenn die prompte Antwort ausbleibt. Sechs Stunden ohne Antwort? Ein Affront.

Wir haben uns versklavt. Apps und Dienste diktieren, wir folgen. Freiwillig. Dabei war doch die Idee, dass es genau umgekehrt läuft.

WhatsApp liefert Transparenz, aber eben die totale. Kollege Y hat meine Nachricht erst gestern Nacht um drei runtergeladen? Kein Wunder, dass der solche Augenringe hat! Die Tochter ignoriert einen? Die kriegt was zu hören! WhatsApp bedient unseren Kontrollfimmel, unsere finstere Stasiseite.

So sind wir Pawlow’sche Hunde geworden. Brrt. Nachricht. Speichelfluss. Muss. Sofort. Antworten. Was soll der andere denn sonst denken? Hat man doch selbst keine Lust auf das Gefühl, zurückgewiesen zu werden, wenn das Gegenüber stundenlang nicht antwortet. Subtext: Du hast bei mir keine Priorität. Autsch.

Binnen weniger Monate hat sich solche Etikette tief eingefressen. WhatsApp hat das erkannt – und versucht mit Funktionen wie dem blauen Haken unseren kommunikativen Speichelfluss anzuregen. Antworte schneller, Nutzersklave. Schreib mehr. Mehr Traffic für WhatsApp. Unverzichtbarer werden. Profitabler.

Böse App? Dumme Nutzer! Technik liefert den Rahmen dafür, wie wir miteinander sprechen. Dauererreichbarkeit entsteht, wenn wir einander nicht sicher genug sind, die Stille auch einmal auszuhalten. MEIKE LAAFF