Gleisblockade gegen Molke-Züge

Was tun mit 5.000 Tonnen verstrahlten Molkepulvers? Ab zur Bundeswehr damit! Dann in die Dekontaminationsanlage! Die war in Hessen nicht durchsetzbar. Im Emsland wurde sie schließlich gebaut

CDUler auf den Gleisen? Kein Witz: Um den größten Übungsschießplatz der Bundeswehr im niedersächsischen Meppen strahlenfrei zu halten, machen sich 1987 selbst konservative Ratsherren auf die Beine. 250 DemonstrantInnen haben sich im kleinen Rangierbahnhof eingefunden, der Bahnverkehr zwischen Münster und Emden kommt für eine Nacht zum Erliegen. 15 Güterzüge sind blockiert. Und drei mit Molkepulver.

Das stammt aus einer bayerischen Käserei und strahlt, dank Tschernobyl, mit knapp 2.000 Becquerel pro Kilogramm. „Keine neue Atommülldeponie für Norddeutschland“, fordern die Blockierer. Die Bahnpolizei räumt sie von den Gleisen.

Auch Franz Roiner hat den Widerstand zu spüren bekommen. Mildgesäuerte Butter hat der Molkereimeister an der Fachhochschule Hannover einst erfunden, mit einem neuartigen Verfahren: dem Ionentausch. Damit verspricht er auch die Molke vom radioaktiven Cäsium zu befreien. Das Bundesumweltministerium ist angetan.

Die Moha-Molkerei im hessischen Hungen, wo die Anlage zunächst entstehen soll, kriegt allerdings schnell weiche Knie. Nach Boykottaufrufen bricht ihr Umsatz um die Hälfte ein. Der neue Standort für die Entseuchung lautet: Emsland, genauer: die Maschinenhalle des wegen Pannen bereits stillgelegten ersten Blocks des AKW Lingen.

Roiners Prinzip ist einfach: Das weiße Pulver wird in Wasser aufgelöst, ein Ultrafilter scheidet Eiweiß und alles Feste ab. Durch kommt nur das Wasser. Samt allem, was darin gelöst ist. Cäsium zum Beispiel. Das bleibt anschließend an den harzigen Ionentauschern hängen, die im Gegenzug Natrium ins Wasser abgeben. Zum Schluss werden Wasser und Feststoffe wieder gemischt – fertig ist die Molke. Die wird anschließend an Tiere verfüttert. Cäsium sei nur noch „unter der Nachweisgrenze“ enthalten gewesen, behauptet Roiner. 100 Becquerel pro Kilo meldet der Informationsdienst „Strahlentelex“. Das radioaktive Ionentauscher-Material, 40 Kubikmeter, wird im alten DDR-Endlager im sachsen-anhaltinischen Morsleben verscharrt.

Die „Operation Molke“ soll den Steuerzahler rund 30 Millionen Euro gekostet haben. Man habe Erfahrungen sammeln wollen, wie bei „weiträumiger Freisetzung radioaktiver Stoffe die Bevölkerung unter Zugrundelegung einer eingeführten Technik mit Milchprodukten versorgt werden kann“, rechtfertigt die Bundesregierung die Ausgabe.

Roiners Erfindung war kein weiterer Erfolg beschieden. Die Anlage, das hatten die LingenerPolitiker zur Auflage gemacht, musste sofort wieder abgebaut werden. Und eine Dekontaminationsanlage anderswo zu errichten, sagt Roiner, „das war zu der Zeit völlig unmöglich.“ sim