Nordenhams Schicksalstag

Seit April ist Bürgermeister Georg Raffetseder suspendiert, das Landgericht Oldenburg hat ihn im Juli wegen Bestechlichkeit und Erpressung verurteilt – aber noch ist er Bürgermeister. Am Sonntag entscheiden die Nordenhamer über seine Abwahl

Nordenham hat 21.752 Wahlberechtigte, von denen muss mindestens ein Viertel den Abgang wollen Für Raffetseder läuft die Sache ganz gut. Ist die Abwahl erfolgreich, bekommt er ein bisschen mehr Geld

aus Nordenham BENNO SCHIRRMEISTER

Er ist gesehen worden. Er laufe durch die Stadt, heißt es, schüttele Hände, gebe sich leutselig. Sein Anwalt sagt: „Er versteckt sich nicht.“ Neulich hat ihn das Lokalblatt, die Nordwestzeitung, auf einem Ball erspäht, ein Schnappschuss per Tele.

Mittlerweile raunt es gar, er bereite eine neue Kandidatur vor: Sollte Nordenham im März tatsächlich einen neuen Bürgermeister wählen, dann würde Raffetseder wieder antreten. Derselbe Doktor Georg Raffetseder, den der Landrat von Wesermarsch Mitte April suspendiert hat. Den das Landgericht Oldenburg im Juli der Bestechlichkeit und der versuchten Erpressung für schuldig befunden hat: „Zehn Scheine ins Kuvert, bei mir in den Postkasten und die Sache läuft“ – mit den Worten hatte Raffetseder einem Immobilienmakler die Bedingungen für die Änderung eines Bebauungsplans erläutert.

Es ist dieser Georg Raffetseder, über dessen Abwahl die Nordenhamer am Sonntag entscheiden. 15 Monate Haft auf Bewährung hatte die siebte Strafkammer verhängt – ein Urteil, das Raffetseders Wahlbeamten-Status unmittelbar ein Ende bereitet hätte, wenn es denn rechtskräftig geworden wäre. Ist es aber nicht: Vorm Bundesgerichtshof ist die Revision anhängig. Und wenn die angenommen würde – also rein formal wäre die Sache denkbar. Auch habe Raffetseder, so wird auf den Straßen Nordenhams behauptet, „irgendwie einen anderen Geburtsnamen“ – und wenn er sich unter dem bewürbe, „dann hätte er wohl Chancen“: Schließlich galt ja schon die Wahl des auswärtigen CDU-Manns am 2. Februar 2003 als Protestvotum: 59,5 Prozent in der ersten Runde! Geballter Ausdruck der Unzufriedenheit über 40 Jahre Alleinherrschaft der SPD samt Filz und Geklüngel. Und was hätte die Nordenhamer seither mit ihrer Kommunalpolitik versöhnen sollen?

Klar, Dietrich Hartwich, der Raffetseders Strafverteidiger ist, nennt das Ganze „ein Latrinengerücht“. Auch sagt er, er halte eine neuerliche Kandidatur seines Mandanten „für eher ausgeschlossen“. Schließlich sei Raffetseder mit ihm „dahingehend überein gekommen, das öffentliche Amt in Nordenham und auch in den benachbarten Kreisen für verbrannt zu halten“. Aber in den gewundenen Formulierungen Hartwichs scheint ein Restzweifel mitzuschwingen, verstärkt durch die Frage, wie weit denn der Mandant seinen Anwalt in die eigenen Pläne eingeweiht hat.

Denn die beiden bilden ein ungleiches Paar. Schon äußerlich: Da ist Hartwich, eher groß gewachsen, von erheblicher Leibesfülle, mit blassem Teint und Gesichtszügen, die ins Teigige spielen. Er würde auch als Pastor durchgehen. Und da sein Klient: Drahtig, gebräunt, sportiv, mitunter macht er durch die Absätze etwas an Höhe gut, und das Bärtchen, das er sich zu Prozessbeginn hatte stehen lassen, trägt er immer noch. Es hat so was Verwegenes. Hartwich dagegen, das ist klar, ist ein biederer Ehrenmann. Einer, der die fundamentalen Werte des Rechtstaats hochhält, die Unschuldsvermutung etwa, die, trotz Geständnis, solange zu gelten hätte, bis ein rechtskräftiges Urteil vorliege.

In Nordenham kreisen unterdessen die Anekdoten. Manche erinnern sich an das „Netzwerk der Besten“, ein externes Beraterteam, das der frisch gebackene Bürgermeister dem staunenden Wahlvolk präsentierte. Mit gut-dotierten Expertisen hat er die Herren betraut. Einer der Besten sitzt mittlerweile in Haft. Wegen Zuhälterei, so ist zu vernehmen.

Die SPD-Fraktion gibt sich zuversichtlich: „Ich gehe davon aus“, sagt Fraktionschef Christian Schöckel, „dass wir ein eindeutiges Ergebnis bekommen“, und das könne nur Ja zur Abwahl heißen. Der Lokaldichter Jens Wohlkopf hat seine humoristischen Erzählungen über den „König Unwirsch“ zu einem Buch zusammengefasst. Aber es erscheint erst am Montag, zu spät, um den Abwahlkampf anzuheizen. Umfragen gibt es nicht. Und auch keine Plakate – wer sollte die kleben? – nur Handzettel, von der Wählerinitiative (WIN), die in Fraktionsstärke im Stadtrat sitzt, und an der Rathaustür hängt ein Zettel: „Wahllokal Zimmer 26“, schwarz auf weiß, gerahmt von zwei blässlichen Pfeilen.

5.438 Ja-Stimmen sind nötig für die Abwahl. Nordenham hat 21.752 Wahlberechtigte, von denen muss mindestens ein Viertel den Abgang wollen. Und die Mehrheit der abgegebenen Stimmen müssen sie auch bilden, versteht sich.

„Round about 10.000 Euro Kosten“ verursache die Abwahl, sagt Harri Kühn. Er ist Sprecher der Stadtverwaltung und sitzt in einem Büro im Rathausturm, ein ans flache Haupthaus Ende der 50er-Jahre angebauter unschöner Klotz von sieben Etagen, verklinkert, mit Uhr. Nordenhams wichtigste Arbeitgeber sind Groß-Industriebetriebe, Xstrata Zinc, ein Schweizer Unternehmen, die deutsch-amerikanische Kronos Titan Incorporated. Und natürlich Airbus, das sein Werk in Nordenham verkaufen will.

Es fällt schwer, sich vorzustellen, dass die Bosse der GlobalPlayer hier gerne ein und ausgehen. Aber dann auch noch um mit einem Stellvertreter zu sprechen …? Die Aufgaben des Bürgermeisters, informiert Kühn, nehme derzeit der städtische Direktor wahr, auch gegenüber Airbus, klar funktioniere das, der sei dessen ordnungsgemäßer Vertreter mit allen Rechten und Pflichten.

Kühn wirkt ein wenig unglücklich, und die Fragen, die sich aufdrängen, darf er nicht beantworten: „Es gibt keine Stellungnahme der Stadt“, er zuckt mit den Achseln, vermintes Gelände. Neutral müsse die Verwaltung bleiben. Nur so viel: „Eine Entscheidung muss es geben, so oder so.“ Aber was denn das zweite So für eine Entscheidung wäre? Kühn schaut, als hätte er gerade in einen faulen Apfel gebissen. „Nun ja“, sagt er.

Nun ja. Manche Menschen wandeln mit gelöster Miene durchs Rathaus und verkünden, Jubel in der Stimme, dass sie „selbstverständlich am Sonntag zur Abwahl gehen“. Andere wirken weniger entspannt. „Da rudern viele zurück“, sagt WIN-Fraktionschef Gernot Schenker, „die ganze Entourage“.

Schenker war ursprünglich auch von Raffetseder angetan. „Ich habe ihn gewählt“, sagt er. Es sei auch falsch, ihn ganz schwarz zu zeichnen. Raffetseder habe Qualitäten: „Ein klarer Denker, ein Analytiker“, sei er. „Endlich ein neuer Kopf“, habe man seinerzeit gedacht, „einer, der nicht involviert ist“. Und „einer, der gut formulieren kann“. Die Defizite seien erst später aufgefallen: „Er hat Untergebene fertiggemacht. Er war absolut nicht teamfähig. Und er hat keinerlei Unrechtsbewusstsein oder Schamgefühl.“

Raffetseder hat inzwischen gegenüber der Nordwestzeitung erklärt, es liege nun an den Bürgern, „durch meine Abwahl den Weg für eine Normalisierung und die Wahl eines Nachfolgers frei zu machen“. Für ihn läuft die Sache ganz gut. Ist die Abwahl erfolgreich, bekommt er ein bisschen mehr Geld: Drei Monate die vollen Bezüge, danach immerhin drei Viertel. Das ist mehr als jetzt. Scheitert sie, bliebe er im Amt. Wenn auch suspendiert. Vielleicht lässt das BGH die Revision zu. Eine Revision braucht so ihre Zeit. An ihrem Ende könnte eine neue Hauptverhandlung stehen. Eine neue Beweisaufnahme. Ein neues Urteil. Und erst dann, endlich, vielleicht – ein neuer Bürgermeister.

„Wir haben beizeiten“, sagt Anwalt Dietrich Hartwich, „eine Auflösungsvereinbarung angeregt“. Die Anregung sei auf taube Ohren gestoßen. Denkbar, dass er gegebenenfalls ein neues Angebot unterbreitet. Mit erhöhter Forderung, so viel ist klar.