Alter schützt vor Schlägen nicht

Demonstration gegen staatliche Repression: 70-jähriger Journalist erstattet Anzeige gegen Polizisten wegen Körperverletzung in Amt, eine Anwältin wegen Freiheitsberaubung

AUS HAMBURG KAI VON APPEN

Eine Woche nach der Demonstration gegen den „Terrorparagrafen“ 129a in Hamburg zeichnet sich langsam das Ausmaß polizeilicher Übergriffe ab. Nun hat auch der iranische Journalist und Schriftsteller Farydon Salak-Gilani über seinen Hamburger Anwalt Jürgen Schneider Anzeige wegen Körperverletzung im Amt gestellt. Die Rechtanwältin Ingrid Witte-Rohde reicht nächste Woche Strafantrag wegen Freiheitsberaubung ein. Bereits am Mittwoch waren Strafanträge gegen eingesetzte Berliner Polizisten wegen versuchten Totschlags und Körperverletzung gestellt worden (taz berichtete). In allen Fällen von Beamtendelikten ist das Dezernat Interne Ermittlungen (DIE) zuständig.

Die Demo gegen staatliche Repression mit rund 3.500 Teilnehmern war von den Veranstaltern nach vier Stunden vorzeitig abgebrochen worden. In dieser Zeit hatte der Protestzug gerade mal einen Kilometer Luftlinie aufgrund permanent erzwungener Stopps durch die Polizei zurückgelegt. Nach der Auflösung zogen hunderte Teilnehmer in Gruppen – laut Verfassungsschutz-Dossier 1.800 Menschen – in die Innenstadt, um wenigstens ein bisschen Öffentlichkeit herzustellen. „Wir sind alle 129a“, skandierten die Protestler an diversen Punkten auf den Weihnachtsmärkten.

Die Polizei reagierte vielerorts rigoros, stürmte ohne Rücksicht auf Einkaufsbummler zwischen den Buden und Glühweinständen in die Menge hinein, kesselte die Aktivisten ein und nahm 109 Menschen in Gewahrsam. Der 70-jährige Exil-Iraner Gilani beobachtete so einen Einsatz Hamburger Polizisten am Mönckebergbrunnen und sprach die Polizisten kritisch an: „Diese stießen ihn weg und einer sagte ‚Halt‘s Maul‘“, berichtet Anwalt Schneider unter Berufung auf Augenzeugen und 40 Verlaufsfotos. „Plötzlich wurde Gilani auf das rechte Ohr geschlagen und auf den Boden geworfen“, sagt Schneider. „Sein rechter Arm wurde schmerzhaft nach hinten gedreht, obwohl er gerufen hatte ‚Ich bin Journalist, Reporter‘.“

Die Polizisten hätten ihn in Gewahrsam genommen und drei Stunden in einer Zelle schmoren lassen. Wegen der Schmerzen suchte Gilani nachts die Notaufnahme des Bundeswehrkrankenhauses auf, wo Hämatome und Hautabschürfungen attestiert worden sind. „Schwerwiegend ist besonders die Verletzung des rechten Ohrs durch den Schlag eines Polizeibeamten“, sagt Schneider. Laut dem Attest bestehe „die Gefahr eines akuten Innenohrtraumas“.

Die Polizei äußert sich zu dem Fall nicht. Es liege eine Kleine Anfrage der Hamburger Grünen Alternative Liste (GAL) vor, sagt Polizeisprecherin Karina Sadowski. „Dann dürfen wir keine Auskunft mehr geben.“

Die Anwältin Witte-Rohde ist ebenfalls auf der Mönckebergstraße mit der Staatsmacht aneinander geraten. Sie wollte eine Mandantin, die von Polizisten umringt war und abtransportiert werden sollte, anwaltlich beraten. Das sei eine nicht erlaubte autonome Versammlung, sei ihr entgegengehalten worden und sie störe eine Amtshandlung. Unversehens befand sich auch Witte-Rohde in Gewahrsam und musste eine Stunde in einem Gefangenentransporter ausharren. „Ein Willkürakt“, sagt sie.

Ihre KollegInnen von der Hamburger Arbeitsgemeinschaft für StrafverteidigerInnen sehen sogar einen „Verfassungsbruch“. Sie verweisen, dass Witte-Rohde in ihrer „anwaltlichen Tätigkeit gestört“ worden sei. Unabhängig davon, ob es einen Anlass für einen Freiheitsentzug gebe oder nicht, „hat jeder Bürger das Recht, zu jeder Zeit einen Anwalt zu konsultieren“, sagt der Vorsitzende Tim Burkert. „Das sieht das Grundgesetz so vor.“

Verfassungsbruch hatte schon der Republikanische Anwaltsverein, der den Demotag am vorigen Samstag mit seinem „Legal Team“ beobachtet hatte, der Polizei attestiert und die Abberufung von Innensenator Udo Nagel (parteilos) gefordert.