Wir sind die Wahlsieger

Ihr gutes Ergebnis war eine der größten Überraschungen der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein: Die Wählergruppe „Wir in Flensburg“ ist die stärkste Fraktion im Flensburger Rat geworden

Die Wählergemeinschaft „Wir in Flensburg“ (WiF) hat nach eigenen Angaben rund 90 Mitglieder. In ihr engagieren sich Menschen aus verschiedenen politischen Lagern. Bei der Kommunalwahl am vergangenen Sonntag ist die Wählergemeinschaft erstmals angetreten und hat zehn von 43 Sitzen in der Flensburger Ratsversammlung geholt. Damit darf sie traditionell den Stadtpräsidenten vorschlagen. In Flensburg wird traditionell ohne Koalitionen im Rat gearbeitet. Die WiF will das beibehalten und sachbezogen Partner für ihre Anträge suchen. Die Wahlbeteiligung in Flensburg lag bei 40 Prozent. DKU

AUS FLENSBURG DANIEL KUMMETZ

Eigentlich ist der Blick auf die Flensburger Förde von der Hafenspitze wunderschön – auch an einem Maiabend mit grauem Himmel. Auf dem Wasser des Ostsee-Arms liegen gut gefüllte Bootsanleger, die Stadt schlängelt sich um die Förde herum. Doch Erika Vollmer, Vorsitzende der Wählergruppe „Wir in Flensburg“ (WiF) sieht mehr: Zwei Gebäude, die für Entscheidungen und Strukturen in der Stadt stehen, welche die WiFler nicht wunderschön finden: Das Kraftwerk der Stadtwerke und den Kailagerschuppen.

Ihr Protest gegen die Planungen für die alte Hafenhalle machte die WiF richtig bekannt und wohl auch erfolgreich. Bei der Kommunalwahl am vergangenen Sonntag wurde sie stärkste Fraktion in der Flensburger Ratsversammlung und erhielt 22,3 Prozent aller Stimmen. Knapp hinter ihr landeten die Dänen-Partei SSW und die CDU. Die SPD ist nur noch viertstärkste Fraktion in Flensburg.

Der Schuppen an der Förde wurde von den Stadtwerken an Investoren verkauft, die ihn abreißen und an seiner Stelle ein Hotel errichten wollten. Das Vorhaben scheiterte. Nun soll dort ein Büro- und Wohngebäude entstehen. Eine Bürgerinitiative, die Interessengemeinschaft Ostufer, protestierte zuerst gegen den Hotelbau und dann gegen die neuen Pläne. Sie glaubte, dass die Stadtwerke das Gebäude zu günstig verkauft hatten und wollte den Schuppen erhalten.

Das Problem beim Kraftwerk ist, dass dort auch Müll verbrannt wird. Eine Bürgerinitiative möchte erreichen, dass besser über die ausgestoßenen Schadstoffe informiert und der bestmögliche Filter eingebaut wird.

Diese Initiativen sind nur zwei von sechs, aus denen die Gruppe WiF hervorgegangen ist. Sie alle hatten das Gefühl gemeinsam, dass ihre Forderungen nicht Ernst genommen werden. Auch bei Protest auf Einwohnerversammlungen habe sich nichts bewegt, städtische Politik und Verwaltung arbeiteten nicht transparent genug. „Wir haben gemerkt, dass wir als Initiativen nicht viel erreichen konnten, also musste sich was im Rat ändern“, sagt Erika Vollmer. Die Idee zur Parteigründung kam im Dezember 2006, im April war es so weit.

Nun ist die WiF stärkste politische Kraft, ihre Mitglieder haben einen kleinen Interview-Marathon hinter sich und sitzen in einem Restaurant an der Hafenspitze. Sie erzählen, warum sie sich engagieren, wofür sie stehen und warum sie mehr sein wollen als eine reine Protestpartei.

Dass sie mit Verdruss und Verärgerung Stimmen gefangen haben, zeigt sich in ihrer Wahlkampfrhetorik, die auch nach der Wahl noch nicht abgeklungen ist. Es fallen Sätze wie: „Die machen was sie wollen“, oder: „Die ignorieren den Willen der Bürger“. Die, das sind die etablierten Ratsparteien.

In ihrer Initiativen-Zeitung berichtet die WiF von Dilettantismus und Skandalen – in den anderen Parteien wird das als unfairer Wahlkampf gewertet. „Wir wissen vor allem, was sie nicht wollen. Was sie umsetzten wollen, ist nicht ganz klar“, sagt Susanne Herold von der Flensburger CDU. „Wenn man klar sagt, was schief läuft und das verhindern will, kann man uns Nein-Sager nennen“, entgegnet Wolfgang Schmiel von der WiF. „Oder Aufklärer.“ Er ist Unternehmer im Ruhestand und hat zu seiner eigenen Überraschung ein Direktmandat gewonnen.

Sie wollen sich als Ratsfraktion um die Projekte kümmern, gegen die sie in ihren Initiativen gekämpft haben, Akten einsehen, die ihnen vorher verweigert wurden. Doch sie möchten auch, dass sich am System etwas ändert. „Wir wollen mehr Bürgerbeteiligung“, sagt Erika Vollmer. Die Einwohnerversammlungen sollen ein Antragsrecht bekommen, Stadtteilzentren gegründet und bei wichtigen Vorhaben Bürgerentscheide durchgeführt werden.

Ansonsten würde sich die WiF gerne das ein oder andere Straßenbauprojekt sparen und das Geld in die städtischen Schulgebäude investieren. Flensburg hat rund 250 Millionen Euro Schulden. „Wir müssen jetzt erst mal gucken, bei welchen Projekten wir noch eingreifen können und wie viel Spielraum noch da ist“, sagt Schmiel.

Dass sie Spuren hinterlassen können, glauben sie trotzdem. „Wir haben beim Wahlkampf oft gehört, dass wir es ja nicht schaffen würden“, erinnert sich Schmieder. „Bei der nächsten Wahl werden die, die das sagen, weniger sein.“