Schwarzer Peter an der Ems

Wie kommt das Gift ins Gras? Wer beim Ems-Dioxin nach der Herkunft sucht, provoziert Empörung. Davon dass sie ihre Weiden selbst verseucht haben könnten, wollen die Bauern nichts hören. Wer über den Ems-Stau als Verursacher nachdenkt, erntet Wut

von BENNO SCHIRRMEISTER

Was tun, wenn die Gülle schäumt? Bergbauer Senior hat „mal gehört dass Altöl da gute Dienste leistet“, teilt er auf agrarweb.at dem verzweifelten Nutzer Grufti mit. „Könnt das ja mal versuchen!“ Das Posting stammt aus der sauberen Schweiz, wurde am 8. März des Jahres 2008 verfasst – und wirft ein Schlaglicht auf die Dioxin-Krise an der Ems: Im Leeraner Anzeigenblatt Der Wecker hatte der promovierte Chemiker, Biobauer und Vorsitzende der BUND Kreisgruppe Wolfgang Meiners angedeutet, dass auch verunreinigter Naturdünger als Ursache für die Giftfunde in den Weiden bei Leer und im Emsland (taz berichtete mehrfach) denkbar wäre.

Die Bauernlobby schäumte: „Das grenzt schon an Rufmord“, so der Umweltreferent des Landvolks Niedersachsen Hartmut Schlepps zur taz. Die emotionale Reaktion ist verständlich, schließlich geht es den Bauernschaft nicht so gut, und immerhin sind sie auch am direktesten betroffen: Ein gutes Dutzend Flächen ist bereits gesperrt, Weideland, versteht sich.

Die sind zwar „nicht so groß, dass die Betriebe sagen würden, jetzt kann ich mein Vieh nicht durch den Winter bringen“, erklärt Schlepps. Aber wenn sich das noch deutlich ausweitet, könnte schon Existenzen bedroht sein. Dann „würde das Land beispringen müssen“. Bei der Frage nach den möglichen Dioxin-Quellen will er sich nur so weit festlegen, dass er einen Eintrag durch einen Altöl-Gülle-Cocktail ausschließt. „Das Altöl bliebe ja an den Pflanzen haften“, sagt er. „Ich glaube nicht, dass die Tiere das noch fressen würden.“ Auch habe er von dieser Praxis „noch nie gehört“, es gebe ja gar keinen Grund dafür: „Gülle schäumt nicht“, lautet Schlepps kategorische Ansage.

Nanu? Das muss er mal dem Bauern Grufti klarmachen, der ganz verzweifelt ist, weil sein Tank schon fast überläuft, „und auch das auspumpen hilft nichts“. Oder den Firmen, die Gülle-Entschäumer anbieten, wie die Agravis-Raiffeisen AG mit Sitz in Münster. „Seit etwa 15 Jahren“ sei das ein branchenübliches Produkt, heißt es von dort, und nein, der einzige Anbieter sei man keineswegs. „So etwas kauft kein Landwirt“, fällt Schlepps dazu ein. „Das ist doch viel zu teuer.“ Hm. Entkräftet diese Aussage das Szenario wirklich?

Aber man sollte nicht vorschnell den Bauern den Schwarzen Peter zuschieben. So betont auch Meiners im Gespräch mit der taz, es gehe ihm „nicht um Schuldzuweisungen“, sondern darum, dass eine Ursachenforschung in Angriff genommen wird. „Es gibt nämlich“, so der Chemiestoff-Ausbilder der Bremischen Berufsfeuerwehren „eine ganze Palette an denkbaren Quellen“: Brände, Müllverbrennungsanlagen, und natürlich der Schlick-Eintrag auf den Überschwemmungswiesen – alles kommt in Frage. Es wäre technisch auch möglich, den Ursprung der Verseuchung zu bestimmen, so Meiners. Dafür sei es „mit einer Handvoll Messungen aber nicht getan“ : Das Zehnfache der bisher etwa 30 Stichproben sei nötig, schätzt er. „Wenn man das Problem wirklich angehen will, muss man jetzt die Ärmel hochkrempeln.“

Aber will man das? Schafft man sich dadurch nicht nur Feinde? Sehr gereizt reagierte wenigstens die Regierungskoalition bei der gestrigen Landtagsdebatte auf den Hinweis des Abgeordneten Christian Meyer (Grüne), „dass die Funde in Überschwemmungsflächen etwas mit dem Fluss zu tun haben könnten“. Dass dieser deshalb den für den 27. September geplanten Probestau der Ems für „fragwürdig“ erklärte, empfand Ulf Thiele (CDU) als „Riesensauerei“. Die Forderung, eine zusätzliche Aufstauung und Verwirbelung des Flusses zu unterlassen, gefährde „10.000 Arbeitsplätze“ bei der Papenburger Meyer-Werft.

Empfindlichkeiten sind schlechte Voraussetzungen, um Probleme „sachlich und nüchtern“ aufzuarbeiten, wie Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen (CDU) gelobte. Der Opposition sprach er derweil die moralische Kompetenz ab, „mit dem Finger“ auf ihn zu zeigen, da sie selbst im Glashaus sitze: Als 1990 in der Elbtalaue ähnliche Belastungen bekannt wurden, habe auch die damalige rot-grüne Landesregierung den Fall „ausgesessen“. Zuvor hatte ihm Karin Stief-Kreihe (SPD) ein unerträgliches Maß an „Verharmlosung“, ja „Menschenverachtung“ bescheinigt.