Der Sprachenstreit auf dem platten Land

In einer ostfriesischen Gemeinde werden einige plattdeutsche Straßennamen durch hochdeutsche ersetzt. Das ist umstritten – seitens der friesischen Minderheit ist gar von kultureller Unterdrückung die Rede. Im Rathaus fühlt man sich missverstanden

VON SVEN-MICHAEL VEIT

So ganz versteht Olaf Meinen die Aufregung nicht. „Es geht doch nur um vier Straßen in einem Gewerbegebiet“, sagt der parteilose Bürgermeister der ostfriesischen Gemeinde Großefehn. Das habe doch nichts mit der Unterdrückung einer Minderheitenkultur zu tun, wenn dort die plattdeutschen Straßennamen in hochdeutsche geändert würden, die zudem auch noch „landwirtschaftliche Bezüge haben“, wie Bauamtsleiter Erwin Adams erläutert. Und damit stehen die Sieger im Sprachenstreit auf dem platten Land fest.

In der 13.500 Einwohner zählenden Großgemeinde im Kreis Aurich werden die Hersteller von Treckern und Mähdreschern wie Lanz, Hanomag, Holder und Güldner künftig mit eigenen Straßennamen geehrt, und das ist das Ende für Timmermannsring, Schooster-, Snieder- und Hockereestraat*. Die neuen Namen, lobt Adams, „sind auszusprechen und handhabbar“.

Arno Rademacher ist das ziemlich egal. „Mir fehlen ob dieses Blödsinns die Worte“, schimpft der Vorsitzende der Partei „Die Friesen“, die sich für die Rechte der gleichnamigen Minderheit und für die niederdeutsche Sprache in Niedersachsen einsetzt. Gar kein Verständnis hat er für die Begründung des Großefehner Gemeinderates: Kunden und Lieferanten könnten die plattdeutschen Straßennamen nicht richtig aussprechen und verstehen, beschlossen die 30 Gemeinderäte von CDU, SPD, Linkspartei, Bürgerliste und zwei Unabhängigen einstimmig.

„Wenn die Firmen dort mit einem Call-Center telefonieren, sagen wir in Bayern, kann das Probleme mit der Adresse geben“, begründet Adams den Beschluss, der aufgrund zahlreicher Beschwerden gefasst worden sei. Vor allem die Hockereestraat habe viel Ärger eingebracht, seufzt Meinen. „Und da mussten wir dann gleich alle Namen in den Gewerbegebiet ändern, damit das einheitlich ist.“

„Viele Menschen kämpfen seit Jahren für den Erhalt der plattdeutschen Sprache“, erinnert Rademacher. Deshalb würden an vielen Orten alte Flur- und Ortsnamen wieder eingeführt – und nun falle Großefehn diesem Bewahren kultureller Identität in den Rücken. Der Chef-Friese appelliert deshalb an die Gemeinde, ihre Entscheidung zu revidieren: „Wenn wir selber unsere Sprachen, unsere Kultur und Identität so gering schätzen und sie leichtfertig ersetzen, wie wollen wir dann erwarten, dass andere sie achten?“

Er habe „schon Verständnis“ für Rademacher, sagt Meinen, der selbst Mitglied im Verein „Oostfreeske Taal“ zur Pflege und zum Erhalt der ostfriesischen Sprache ist. In den Kindergärten und Schulen von Großefehn würde natürlich auch Plattdeutsch und Friesisch gesprochen und gelehrt, sagt der Bürgermeister. Und selbstverständlich gebe es weiterhin plattdeutsche und auch friesische Straßennamen in Großefehn, „aber nur in Wohngebieten“. Denn die Wahrung von Identität, Geschichte und Sprache sei wichtig, sagt Meinen: „Aber das darf doch nicht zum Selbstzweck werden.“

Der Name des umkämpften Gewerbegebiets bleibt indes unverändert: Ulbargen*.

* Zimmermannsring, Schusterstraße, Schneiderstraße. Hockeree ist die regionale Mundart von Hökerei, auf Hochdeutsch: Krämerei oder Tante-Emma-Laden. Ulbargen = Eulenberg