Das Bild von einem Angeklagten

Im Oldenburger „Holzklotz-Fall“ hat das Gericht nicht anonymisierte Bildaufnahmen untersagt. Dagegen wehren sich die Nordwest-Zeitung und RTL vor dem Bundesverfassungsgericht

VON FELIX ZIMMERMANN

Muss der Angeklagte im so genannten Holzklotz-Fall hinnehmen, dass Bilder von ihm im Gerichtssaal gezeigt werden? Bilder, auf denen er zu erkennen ist, weil sein Gesicht nicht unkenntlich gemacht wurde?

Seit dem 4. November läuft der Prozess vor dem Landgericht Oldenburg. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, einen Holzklotz von einer Autobahnbrücke gestoßen und damit eine Frau umgebracht zu haben.

Nach Ansicht des Gerichts dürfen Bilder des Angeklagten „nur im anonymisierten (etwa verpixelten) Zustand gezeigt werden“. Bei Zuwiderhandlung werde es den Medienorganen untersagt, „weiterhin Bildaufnahmen anzufertigen“ oder „Bildaufnahmegeräte jedweder Art im Hauptverhandlungsraum, dessen Umfeld und im Zuführungsbereich mit sich zu führen“, schreibt der Vorsitzende Richter in einer Anordnung. Wen er meinte, können Zeitungsleser hierzulande leicht ermitteln: die Oldenburger Nordwest-Zeitung (NWZ) hatte den Angeklagten mehrfach abgebildet, auch der Fernsehsender RTL zeigte ihn.

Der Sender und die Zeitung haben gegen die Anordnung Verfassungsbeschwerde erhoben und Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, damit sie auch weiterhin zeigen können, wie ein schweigsamer Mann auf der Anklagebank sitzt. Das Karlsruher Gericht ließ ausrichten, es werde „zeitnah“ entscheiden. Die nächste Sitzung ist am kommenden Freitag.

Es geht um die Frage, ob das Informationsinteresse der Öffentlichkeit oder das Persönlichkeitsrecht des Angeklagten überwiegt. Das Landgericht sagt, angesichts des bundesweiten Interesses handele es sich bei dem Angeklagten zwar um eine relative Person der Zeitgeschichte, die Foto- und Filmaufnahmen während des Prozesses von sich dulden müsse. Das bedeute aber im Hinblick auf sein Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild nicht, dass er auch die nicht anonymisierte bildliche Darstellung hinnehmen muss.

Die NWZ wollte sich nicht dazu äußern, warum sie der Meinung ist, den Angeklagten unbedingt zeigen zu müssen.

Für RTL verwies der geschäftsführende Chefredakteur Michael Wulf auf die Vorgeschichte des Angeklagten. Der habe sich vor seiner Festnahme als Tatverdächtiger „mehrfach freiwillig als Interviewpartner vor Kameras gestellt“, deshalb sei „die Unkenntlichmachung nicht mehr zwingend erforderlich“. Dass der Angeklagte als Zeuge vor die Kameras ging, der den Holzklotz auf der Brücke gesehen und beiseite geräumt haben will, spielt für Wulf keine Rolle. Ebenso wenig die Unschuldsvermutung, die das Gericht anführt. Der Angeklagte habe sich gezeigt, damit müsse er auch weiterhin gezeigt werden dürfen.

Ob die Unschuldsvermutung aber überhaupt noch eine geltende Größe in dem Verfahren ist, ist mehr als fraglich – und daran dürfte die NWZ entscheidenden Anteil haben: Bereits am Tag, als Polizei und Staatsanwaltschaft die Festnahme des dringend Tatverdächtigen bekannt gaben, war ein NWZ-Fotograf im Umfeld der Staatsanwaltschaft und der JVA unterwegs, um Bilder des Mannes zu schießen, der gerade vernommen wurde.

Sie veröffentlichte ein Bild, auf dem er im Kreis seiner Mitgefangenen in einer Zelle zu sehen ist, als er eine Haftstrafe verbüßte. Die Mitgefangenen sind unkenntlich gemacht, er ist klar zu erkennen. Bis heute zeigt das Blatt in einer Online-Galerie Bilder des Mannes, seines Gartens und aus dem Inneren des Hauses, in dem er wohnte. Seinen Werdegang schildert es als „wirres Leben zwischen Knast und Drogen“. Wer wird da noch an Unschuld denken, lange vor dem Urteil?