Lese-Leiden auf hohem Niveau

Obwohl über europäischem Durchschnitt, schneiden die Viertklässler in Hamburg und Bremen bei der Lesekompetenz am schlechtesten ab. Niedersachsen und Schleswig-Holstein liegen im Mittelfeld, Mecklenburg-Vorpommern brilliert

Niedersachsens Viertklässler sind beim Lesen deutsches Mittelmaß. Im bundesweiten Vergleich liegt das Land mit 544 Punkten knapp unter dem deutschen Durchschnitt (548). Das geht aus dem internationalen Iglu-Test hervor, der 2006 an über 400 Schulen in Deutschland durchgeführt wurde. Bei allen Leistungen liegen die niedersächsischen Schüler im Mittelfeld. Sie haben bei den Aufgaben weder richtig schlecht, noch richtig gut abgeschnitten. Deutlich nach oben absetzen kann sich das Bundesland nur im Leistungsvergleich von Kindern aus bildungsfernen und bildungsnahen Familien. So liegen Schüler, deren Eltern mehr als 100 Bücher besitzen, im nationalen Vergleich meist um 40 Punkte oder fast ein ganzes Schuljahr vor Kindern aus bücherarmen Haushalten. In Niedersachsen liegt dieser Wert lediglich bei 30 Punkten. Außerdem zeigt die Iglu-Studie, dass Niedersachsen Kinder mit ausländischen Wurzeln etwas besser fördert als andere Bundesländer.  DPA

VON MARCO CARINI

Die guten Nachrichten vorweg: Bei der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu), die weltweit das Textverständnis von Viertklässlern abprüft, liegen die Bundesrepublik und alle 16 Bundesländer über dem internationalen und auch über dem europäischen Durchschnitt. Im Norden brillieren vor allem die Schüler aus Mecklenburg-Vorpommern, die sich im von Thüringen angeführten bundesweiten Ranking einen beachtlichen sechsten Platz ergattern.

Doch auch die Verlierer kommen aus dem Norden: Die Stadtstaaten Hamburg und Bremen liegen auf den letzten beiden Plätzen des Ländervergleichs und sind die einzigen beiden Bundesländer, die nach Bewertung der Studienautoren „signifikant“ unter dem bundesdeutschen Niveau liegen. Niedersachsen und Schleswig-Holstein hingegen stehen auf Platz neun und Platz zehn des Rankings, beide hauchdünn unter dem Bundesschnitt.

Abgeprüft wurde bei der Studie, wie gut Kinder aus Klassenstufe vier wissenschaftliche und literarische Texte verstehen, wiedergeben und interpretieren können. Da auch Berlin in diesem Vergleich schlecht abschneidet, gehen die Stadtstaaten als Verlierer aus der Untersuchung hervor.

Als Grund geben die Autoren der Studie das große soziale Gefälle der Metropolen und den hohen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund an. Bei diesen Gruppen ist die Neigung der Kinder, sich mit Texten zu beschäftigen, am niedrigsten ausgeprägt, das Bildungsniveau und die Förderungsbereitschaft der Elternhäuser am geringsten. Die Folge: Während bundesweit 13,2 Prozent der getesteten Kinder als „leseschwach“ eingestuft werden, sind es in Hamburg 22,1 und in Bremen 22,5 Prozent.

Besonders in Hamburg liegen die Kompetenzunterschiede zwischen Kindern aus bildungsnahen und bildungsfernen Elternhäusern weit über dem bundesdeutschen Mittelwert. Das Leistungsgefälle zwischen Kindern ohne und mit Migrationshintergrund ist dagegen in Hamburg und Bremen nicht ausgeprägter als in den westlichen Flächenländern – hier liegt der Osten und vor allem Mecklenburg-Vorpommern vorne, wo Kinder von im Ausland geborenen Eltern sogar besser abschnitten als ihre deutschstämmigen Mitschüler.

Überraschend: Zwar zieht der hohe Migrations- und Armutsanteil in den Stadtstaaten ihr Durchschnitts-Ergebnis nach unten, doch gibt es in den beiden Nord-Metropolen auch nur wenige Kinder mit einer hohen Lesekompetenz. Obwohl sich in größeren Städten auch die Bildungseliten versammeln, werden nur 6,8 Prozent der Hamburger und gar nur 5,5 Prozent der Bremer Schüler als Spitzenleser eingestuft, die fähig sind, Texte in ihrer gesamten Komplexität zu deuten. 18 Prozent der befragten Jungen und Mädchen aus den beiden Hansestädten gaben dabei an, freiwillig kein Buch anzufassen – vier Prozent mehr als im Bundesdurchschnitt.

Die verantwortlichen Senatorinnen der Verlierer-Städte reagierten „enttäuscht“ auf die Vergleichsergebnisse. Sowohl Hamburgs Bildungssenatorin Christa Goetsch (GAL) wie auch ihre Bremer Amtskollegin Renate Jürgens-Pieper (SPD) kündigten fast gleichlautend an, die Sprachförderung für Grundschüler „intensivieren“ und „weiterentwickeln“ zu wollen.

Kritik gibt es erwartungsgemäß von der Opposition: Hamburgs SPD-Bildungsexperte Thies Rabe verwies darauf, dass die CDU unlängst „167 Lehrerstellen in der Sprachförderung gestrichen“ habe. Ihr grüner Koalitionspartner müsse nun „den Mut haben, die Fehlentscheidungen der CDU zu korrigieren“.

In Bremen forderte die Linke den Senat auf, eine Besetzung der Grundschulklassen mit zwei LehrerInnen zumindest in jenen Stadtteilen zu ermöglichen, die „deutlich unter dem Leistungsdurchschnitt“ blieben. Für die Bremer FDP liegt der Schlüssel derweil darin, „erfolgreiche Konzepte wie Leseclubs, Elternlesen und Leseintensivkurse fortzusetzen und zu verstärken“.

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