Milde beendet

Jugendliche Straftäter sollen nicht mehr mit einer Einstellung des Verfahrens davonkommen, fordert Bremens oberster Staatsanwalt

VON STEVEN HEIMLICH

Bremens leitender Oberstaatsanwalt Detlef Klein hat einen Sinn fürs Timing. Kurz vor der Wiederaufnahme des Aufsehen erregenden Verfahrens gegen vier junge Männer, denen versuchter Mord an Polizisten vorgeworfen wird, hatte der Chefankläger eine Dienstanweisung an seine Staatsanwälte verfasst – und sie zugleich per Bild-Zeitung veröffentlicht. In der Anweisung fordert Klein, Strafverfahren gegen Jugendliche möglichst bis zu einer Verurteilung durchzuziehen.

Der Tatvorwurf gegen die Angeklagten, die derzeit vor der Großen Jugendstrafkammer in Bremen stehen, lautet auf versuchten mehrfachen Mord. Den Ermittlungen zufolge hatten sie im Oktober letzten Jahres einen Streifenwagen unter falschen Vorwand in einen Park gelockt. Ihr Plan sei gewesen, die Seitenscheibe des Fahrzeugs einzuschlagen, um anschließend einen Brandsatz ins Innere zu schleudern.

Der Plan misslang, die Insassen – eine 27-jährige Polizistin und ihr 29 Jahre alter Kollege – blieben bei der Attacke unverletzt. In der Nähe des Tatorts stellten die Ermittler anschließend einen Holzschlagstock, einen Molotow-Cocktail, einen Benzinkanister und Wegwerfhandschuhe sicher.

Laut Staatsanwaltschaft haben die Jugendlichen den Tod der zwei Polizeibeamten mindestens in Kauf genommen. Laut Verteidigung drohen ihnen bis zu zehn Jahren Haft. Die Polizei vermutet hinter dem versuchten Anschlag einen Racheakt: Die Jugendlichen hatten wegen Gewaltverbrechen und Diebstählen schon häufiger mit der Staatsgewalt zu tun.

Klein zufolge kommen jugendliche Straftäter in solchen Fällen viel zu leicht davon. Er wünscht sich mehr Verurteilungen, um abzuschrecken. „Die Änderung gilt insbesondere für Wiederholungstäter und bei Gewaltstraftaten gegen ältere Menschen oder Polizisten“, heißt es in der Dienstanweisung, für die Klein vom Boulevard prompt Beifall bekam.

Im laufenden Verfahren rechnet zwar ohnehin niemand mit einer Einstellung – Klein hält die Bremer Jugendrichter aber generell für zu milde. In seiner Dienstanweisung kritisiert er, dass vor Bremer Jugendgerichten nur in 15 Prozent der Verfahren Urteile ergingen – im Bundesdurchschnitt seien es fast dreimal so viel.

Strafrechtsexperte Helmut Pollähne von der Universität Bremen hält solche Zahlenspiele für unsinnig. Die Quote der zum Urteil gebrachten Verfahren sei kein Indiz für wirksames Vorgehen gegen jugendliche Straftäter. Im Gegenteil sei ein eingestelltes Verfahren in vielen Fällen begrüßenswert. Es sei im Sinne des Gesetzgebers, wenn Jugendliche bald nach der Tat an sozialen Trainingsmaßnahmen teilnähmen, anstatt lange auf ein Urteil zu warten.

Kleins Vorstoß sei „populistisch“, sagt Pollähne. Und es sei „skandalös, dass dieser Unsinn auch noch vom Justizsenator unterstützt wird.“ Tatsächlich hatte Justizsenator Ralf Nagel (SPD) keinerlei Bedenken gegen Kleins Vorstoß geäußert – obwohl der Gesetzgeber verlangt, im Einzelfall zu prüfen, ob ein Verfahren gegen Auflagen eingestellt werden kann.

Ein pauschales Verurteilungsgebot von jugendlichen Straftäter hält Pollähne aber auch noch aus anderen Gründen für problematisch. „Er habe „ernsthafte Zweifel, ob das juristisch überhaupt zulässig ist“, sagt der Strafrechtsexperte. Ebenso problematisch sei es, die Anweisung ausschließlich auf Wiederholungstäter und Gewaltverbrecher anzuwenden.

Kleins Vorstoß entspreche einem bundesweiten „kriminalpolitischem Trend“. Es sei aber ein Trugschluss zu glauben, dass mehr Verurteilungen abschreckend wirkten und zu weniger Straftaten führten. Schon jetzt landeten Jugendliche, die sich nicht an die Auflagen hielten, wieder vor Gericht.

Die Angst, sie könnten ungeschoren davonkommen, sei unbegründet.