Die Rückkehr der Poliklinik

Es gibt immer mehr Medizinische Versorgungszentren. Für Ärzte sind sie attraktiv wegen geregelter Arbeitszeiten und niedriger Kosten. Kritiker fürchten, dass andernorts Unterversorgung droht

Etwa 70 Medizinische Versorgungszentren (MVZ) werden laut der Kassenärztlichen Bundesvereinigung pro Quartal zugelassen. Bundesweit sind rund 4.000 Ärzte in MVZ angestellt, im Durchschnitt finden sich 4,5 Mediziner in jedem Zentrum. Während das Flächenland Niedersachsen im Ländervergleich mit derzeit 113 MVZ Platz drei belegt, gibt es in Schleswig-Holstein gerade einmal 47 solcher Zentren. Der Stadtstaat Hamburg verzeichnet 33 MVZ, in Bremen sind es acht. In Mecklenburg-Vorpommern entstanden in den vergangenen sechs Monaten fünf neue MVZ. Insgesamt gibt es dort nun 20 Versorgungszentren. UG

VON UTA GENSICHEN

Nach der Wende hatten Bundesregierung und Kassenärztliche Vereinigung die in der DDR etablierten Polikliniken gnadenlos eingestampft, um die Ärzte auf den Kurs der Einzelpraxis zu bringen. Seit der Gesundheitsreform erlebt das vergessen geglaubte Modell unter dem Namen Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) bundesweit eine Renaissance.

Überraschenderweise steigt die Zahl der zugelassenen MVZ rasant an. Einst als ideologisches Überbleibsel des Ostens verpönt, gibt es mittlerweile weit über 1.000 Nachfolgeeinrichtungen der Poliklinik. Niedersachsen rangiert mit 113 MVZ sogar auf Platz drei im bundesweiten Vergleich.

Kritiker fürchten sich vor einer übermäßigen Konzentration von Ärzten und vor dadurch entstehenden längeren Wegen für die Patienten. Besonders in Flächenländern sei dies eine beunruhigende Entwicklung. Das Gegenteil sei der Fall, sagt Uwe Köster von der KV Niedersachsen. „Bei uns werden Ärzte nicht von den Flächen weggezogen“. Der Großteil der in MVZ arbeitenden Ärzte seien schließlich angestellte Mediziner. Diese hätten sich ganz bewusst für die neue Versorgungsform und gegen die teure Selbständigkeit entschieden. Vor allem Frauen nutzen die Vorteile des Angestelltenverhältnis, um sich die Möglichkeit einer Babypause offen zu lassen, sagt Köster.

In Hamburg gibt es derzeit 33 MVZ, in denen meist Ärzte verschiedener Fachrichtungen mit medizinischen Laboren zusammenarbeiten. Im „Atriomed“ im Stadtteil Winterhude etwa arbeiten unter anderem Gynäkologen, Orthopäden, Neurologen und Kinderärzte unter einem Dach. Die KV Hamburg ist allerdings skeptisch: „Das Atriomed vernichtet Versorgung“, sagte der stellvertretende Vorsitzende, Walter Plassmann, vor wenigen Tagen. Angeblich zögen die Betreiber Arztsitze aus Stadtteilen ab, in denen es eine unterdurchschnittliche Versorgung gebe, und verlegten diese in das besser ausgebaute „Atriomed“ in Winterhude.

„Wir haben anhand der Abrechnungen bemerkt, dass das Atriomed nur 40 Prozent der Patienten versorgt wie zuvor die Ärzte, deren Praxen das MVZ übernommen hat“, bestätigt eine KV-Sprecherin. Anstatt die weiter entfernten MVZ aufzusuchen, gingen die zurückgebliebenen Patienten oft zu Ärzten in ihrer Nähe. Das sei in schlecht versorgten Gebieten fatal, sagt die Sprecherin. „Die sowieso vollen Praxen bersten dann auseinander“.

Atriomed-Standortmanager Tillmann Halbuer versteht die Aufregung der Kassenärztlichen Vereinigung nicht. Praxen aufzukaufen, um Zulassungen zu erwerben, sei ein „übliches Geschehen“, wolle man ein Versorgungszentrum eröffnen. „Und das konnten wir natürlich nur an einen Standort stellen“, sagt Halbuer. Für die Unterversorgung in einigen Stadtteilen sei das MVZ nicht verantwortlich. Obwohl die KV Hamburg die für manchen Patienten weiten Wege kritisiert, weiß sie doch auch um die Vorteile des Poliklinik-Revivals. Allein der finanzielle Anreiz lockt viele Ärzte in das Angestelltenverhältnis. Anstatt in teure Instrumente zu investieren, teilen sich die Mitarbeiter eines MVZ die Gerätschaften. Träger der Einrichtungen sind entweder Ärzte, die sich als Inhaber zusammenschließen, oder andere so genannte Leistungserbringer des Gesundheitswesens. In der Regel sind dies Krankenhäuser.

Wegen der großen Dichte an Fachärzten spart sich der Patient viele Wege. Bei einer Überweisung kann er noch im MVZ zu dem gewünschten Mediziner gehen. Unnötige Doppeluntersuchungen werden dadurch vermieden. „In Niedersachsen hat sich das Modell des Medizinischen Versorgungszentrums bereits bewährt, die Zulassungen nehmen sogar überproportional zu“, sagt Uwe Köster. Das MVZ, so der Sprecher, habe Zukunft.