„Wenn er ja sagt, reicht mir das“

Der 13-jährige Viktor versuchte in Hamburg testweise Spirituosen zu kaufen. Seine Einkaufsbilanz erschreckt, denn nur in wenigen Ausnahmen wurde dem Schüler der Erwerb von Alkohol verweigert

VON FELIX DISSELHOFF

Viktor ist groß gewachsen: 1,78 Meter zeigt das Maßband bei dem Hamburger Schüler an. Das täuscht manchmal darüber hinweg, dass er erst 13 Jahre alt ist. Alkohol trinkt er nicht. „Es schmeckt mir einfach nicht.“ Ob er an Spirituosen kommt, möchte er trotzdem testen: „Mein Bruder ist schon 16. Der wird von seinen Kumpels immer losgeschickt, um bei Penny Wodka einzukaufen. Da gibt es nie Probleme.“

Familienministerin Ursula von der Leyen hatte vor Jahren die selbe Idee. Jugendliche sollten testweise Gewaltvideos, Zigaretten und Alkohol kaufen, um gegen schwarze Schafe im Handel vorzugehen. Der Gesetzesentwurf wurde im Jahr 2007 auf Eis gelegt.

Probleme, an Alkohol zu kommen, hatte Viktor beim Testkauf nicht. Erste Anlaufstelle: Die Tankstellen. Zuerst soll es der 13-Jährige mit Bier versuchen. Nach zwei Minuten kommt er stolz mit zwei Dosen Becks aus der Tankstelle. Dass er erst in drei Jahren Bier trinken darf, hat die Kassiererin nicht gestört. Ausweiskontrolle: Fehlanzeige. „Ist mir doch egal“, so die Frau. „Ich hab’ ihn gefragt, ob er schon 18 ist. Wenn er ja sagt, reicht mir das.“

Bei einem Feinkostgeschäft in Hamburg-Winterhude probiert der Schüler eine Taktik aus, die Eltern wohl durchschauen würden. Wenige Minuten später hält er eine Flasche spanischen Rotwein in der Hand. „Als ich erzählt habe, dass ich den für meine Mutter hole, gab es keine Probleme“, sagt Viktor. Der Verkäufer sagt: „Ich hatte schon ein ungutes Gefühl. Aber ich hab’ ihm in die Augen geschaut.“ Alterskontrollen sehen anders aus.

Viktor wird zuversichtlicher. Jetzt sollen die großen Ladenketten dran glauben. Bei Penny, Lidl und Sky will er Wodka und Apfelkorn kaufen. Doch an der Kasse muss er seine Beute zurückgeben: ohne Ausweis kein Alkohol.

Der 13-Jährige will sein Glück jetzt im Hamburger Schanzenviertel versuchen: „Da kommen selbst meine Freunde immer an Alkohol.“ Der erste Versuch, ein Kiosk führt schon zum Erfolg: Erst kauft der Schüler zwei Bier. Weil es so gut läuft, geht er erneut in den Laden und kommt mit einem 20 prozentigen Kleinen Feigling wieder heraus. Den dürfte Viktor erst in fünf Jahren kaufen. Der Verkäufer reagiert geschockt, als er erfährt, dass er an einen 13-Jährigen verkauft hat: „Ich mache eigentlich immer Kontrollen und habe ihm geglaubt, dass er schon 18 ist.“

Längst nicht alle Kioskbesitzer verkaufen so freizügig. Beim zweiten Kiosk hat Viktor kein Glück: „Ich hab’s mit der Flasche noch nicht mal bis zur Kasse geschafft.“ Besitzer Tas Hasan hat schon schlechte Erfahrungen gemacht: „Vor einem halben Jahr wurden wir von einer Mutter verklagt, an deren Sohn wir Alkohol verkauft haben. Ich musste 3.000 Strafe zahlen. Seitdem passen wir doppelt auf.“

Als es dunkel wird, geht Viktor in einen kleinen Supermarkt, der zur Edeka-Kette gehört. Dort scheint man 13-Jährige umso lieber mit Spirituosen zu versorgen. „Ich wollte einen Jägermeister, kein Problem“, wundert sich Viktor. Der Verkäufer gibt sich geläutert: „Ich kontrolliere sonst absolut jeden. Da macht man einmal eine Ausnahme und schon passiert es.“ Einen Grund hat er auch parat: „Es war so viel los und die Schlange so lang.“

Viktors Beute kann sich sehen lassen: Bier, Rotwein, Jägermeister und Kleiner Feigling. Trinkt er alles an einem Abend, ergibt das rund 200 Gramm reinen Alkohol in seinem Blut. Bei einem jungen Mann der 54 Kilo wiegt, errechnet sich daraus ein Alkoholpegel von etwa 4.8 Promille.

Auch in Niedersachsen werden seit letztem Jahr Testkäufer eingesetzt. Bei einem Großteil der Versuche, war es für die Polizeischüler und Jugendlichen, wie bei Viktor, kein Problem an Alkohol zu kommen. 2007 wurde der 16-jährige Lukas mit 4,8 Promille in ein Berliner Krankenhaus eingeliefert und starb. Hätte Viktor seine Einkäufe konsumiert, hätte er mit seinem noch jüngeren Organismus bestimmt Schäden davongetragen.