Antifa-Muttertag ist gerettet

ZENSUR Das Göttinger Tageblatt weigerte sich einen Muttertagsgruß zu drucken, mit dem indirekt zum Protest gegen Nazis aufgerufen wurde. Nachdem die taz recherchierte, soll die Anzeige nun doch in Druck gehen

Das Göttinger Tageblatt behält sich vor, Anzeigenaufträge abzulehnen, „wenn deren Inhalt gegen Gesetze oder behördliche Bestimmungen verstößt oder deren Veröffentlichung für den Verlag unzumutbar ist“. Um den Inhalt der Anzeige hätte sich das Tageblatt ohnehin keine Sorgen machen müssen, da die Zeitung prinzipiell keine Verantwortung für den Inhalt von Anzeigen trägt. In den Geschäftsbedingungen heißt es: „Der Auftraggeber trägt allein die Verantwortung für den Inhalt und die rechtliche Zulässigkeit der für die Insertion zur Verfügung gestellten Texte.“ Der Verlag prüfe die Anzeigentexte mit geschäftsüblicher Sorgfalt. Im Zweifelsfall „verpflichtet sich der Inserent, die Kosten der Veröffentlichung einer Gegendarstellung“ zu tragen. Im Fall der Inserenten Reinecke ist diese Gefahr allerdings gering: Sie haben nur gratuliert. Es sei denn, die derart geehrte Mutter setzte sich gegen die Behauptung zur Wehr, sie gehe gegen Nazis auf die Straße. JV

VON JOSEPH VARSCHEN

Zum Muttertag bietet das Göttinger Tageblatt an, preiswerte Großanzeigen zu schalten. Ein Ehepaar aus Göttingen wollte seine Muttergrüße mit einem Protest gegen Nazis verbinden. „Liebe Mama“, sollte dort stehen, „ich bin stolz auf Dich, dass Du trotz Deiner 75 Jahre noch immer gegen Nazis auf die Straße gehst“. Und die Ankündigung: „Den Blumenstrauß gibt’s nachher in Friedland! Deine Silke.“

Denn in dem Ort, durch den Zigtausende Kriegsheimkehrer und Spätaussiedler in die Bundesrepublik kamen, plante die NPD-nahe „Deutsch-Russische Friedensbewegung europäischen Geistes“ den Müttern am 9. Mai die Show zu stehlen. Mit einem „Friedensmarsch“ wollten die Rechten am „Heimkehrerdenkmal“ auf dem Friedländer Hagenberg Stellung beziehen.

Mit der Anzeigenaktion wollten Silke und Uwe Reinecke gegen die „unerträgliche Nazi-Normalität“ vorgehen, die ihrer Ansicht nach in Deutschland herrscht. Die Anzeige wurde vom Göttinger Tageblatt bestätigt. Doch drei Tage später erhält Uwe Reinecke einen Anruf vom Tageblatt. Der Inhalt seiner Anzeige sei „verboten“ und könne nicht veröffentlicht werden, erinnert sich Reinecke an den Tenor des Gesprächs. Verboten sind laut Vertrag lediglich Anzeigentexte die „gegen das Presserecht oder gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen verstoßen“. Da das Presserecht Muttertagsgrüße nicht verbietet, müsste der Grund des Verbotes in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Göttinger Tageblatts zu finden sein. Danach werden Anzeigen abgelehnt, die gegen geltende Gesetze verstoßen. Oder aber Anzeigen, „deren Veröffentlichung für den Verlag unzumutbar“ wäre. Reinecke jedenfalls findet es „unfassbar, dass das Göttinger Tageblatt sich weigert, die Anzeige gemäß Vertrag zu veröffentlichen“.

Ein erster Anruf der taz bei der Anzeigenabteilung löst Hektik aus: „Ich kann dazu jetzt nichts sagen“, versichert eine Mitarbeiterin. „Ich muss erst Rücksprache halten, die Anzeigenleitung ruft gleich zurück.“ Das tat sie nicht.

Denn im Hintergrund wurden die Uhren zurückgedreht: Reinecke erhielt direkt im Anschluss einen Anruf des Göttinger Tageblatts, dass die Anzeige vertragsgemäß gedruckt werde. „Schade eigentlich, meine Frau hatte schon einen Anwalt eingeschaltet, um unserem Anliegen Nachdruck zu verleihen“, sagt Reinecke mit einer Mischung aus Triumph und Enttäuschung in der Stimme. Eine Begründung für den Sinneswandel habe das Göttinger Tageblatt ihm nicht genannt.

Nachdem die Situation bereinigt wurde war auch das Tageblatt bereit sich gegenüber der taz zu äußern: „Verbot? Nein, die Anzeige wird doch gedruckt“, sagt die Leiterin der Anzeigenabteilung. „Die Prüfung einer Anzeige kann einige Tage dauern, das ist normal.“ Zur zunächst erteilten Absage könne sie keine Auskunft geben. „Das sind Interna zwischen dem Tageblatt und dem Kunden, die ich nicht preisgeben darf.“ Aber auch dem Kunden Reinecke wurde nicht erklärt, wie es zu dem „Missverständnis“ kommen konnte.

Gestern wurde der Aufmarsch der Rechtsextremen in Friedland vom Landkreis Göttingen verboten. Friedland gelte mit seinem Grenzdurchgangslager als „Tor zur Freiheit“ und dürfe nicht durch Verbreitung rechten Gedankengutes oder Gewalttätigkeiten entwürdigt werden, begründet Landrat Reinhard Schermann (CDU) das Verbot. Damit ist der umkämpfte Protestaufruf nahezu hinfällig.