Nach den tödlichen Schüssen von Stolzenau: Die Krux des Schweigens

Ein Mitarbeiter der Kirche hatte das Jugendamt im Fall der erschossenen Souzan kritisiert. Ihm wurde fristlos gekündigt - er habe die Schweigepflicht verletzt.

Trauer um Souzan: eine Besucherin bei der Beerdigung auf dem Stadtfriedhof Lahe in Hannover. Bild: dapd

HAMBURG taz | Mehr als zwei Wochen, nachdem Ali Bakarat seine 13-jährige Tochter Souzan im niedersächsischen Stolzenau erschossen hat, ist dem dortigen Flüchtlingsberater der Kirche fristlos gekündigt worden. Er habe seine Schweigepflicht verletzt. Peter Jilani war 20 Jahre lang als Migrations- und Flüchtlingsberater in der Diakonie tätig - und betreute auch Familie Bakarat. Nach der Tat kritisierte er öffentlich - in der Lokalzeitung Die Harke am Sonntag - das Jugendamt und den zuständigen Landkreis. Die Mitarbeiter hätten das Mädchen nicht aus der Familie nehmen dürfen.

"Ich stehe weiterhin zu meiner Kritik", sagt der 64-jährige Jilani der taz. "Wenn es richtig gewesen wäre, das Mädchen aus der Familie zu holen, dann würde sie doch jetzt noch leben, oder?"

Souzan Bakarat war sechs Monate vor ihrem Tod in eine betreute Jugendeinrichtung gezogen. Jilanis Meinung nach habe die Familie kurz vor einer Annäherung gestanden, die Androhung des Jugendamts jedoch, den Eltern das Sorgerecht zu entziehen, sei wohl der berühmte "letzte Tropfen gewesen, der dass Fass zum Überlaufen brachte".

Am 5. Dezember schießt Ali Bakarat auf offener Straße seine 13-jährige Tochter nieder.

Kurz davor hatten Eltern und Tochter sich in einer Jugendhilfeeinrichtung zu einem Gespräch getroffen. Geregelt werden sollte dabei der weitere Kontakt zwischen den in Nienburg lebenden Eltern und der in Stolzenau untergebrachten Tochter.

Gestorben ist Souzan laut vorläufigem Obduktionsergebnis durch mehrere Schüsse in den Kopf und den Oberkörper.

Beigesetzt wird sie neun Tage später auf dem Friedhof in Hannover-Lahe - auf einem Feld, auf dem Jesiden in Richtung aufgehender Sonne beerdigt werden. Mehrere Hundert Trauergäste nehmen an der Beerdigung teil.

Ein Haftbefehl gegen Bakarat ergeht einen Tag nach den Schüssen durch das Amtsgericht Verden.

Gegen seine fristlose Kündigung vom Freitag will Jilani jetzt klagen. Sein ehemaliger Arbeitgeber, der evangelische Kirchenkreis Stolzenau-Loccum, gab in einer schriftlichen Erklärung bekannt: "Die Einhaltung von Verschwiegenheit in Seelsorge und Beratung ist in unserer evangelischen Kirche ein unaufgebbares Gut." Die Entscheidung zur Kündigung hätten sich die Verantwortlichen nicht leicht gemacht.

Sie bedauere, dass die Kündigung so kurz vor Weihnachten ausgesprochen werden musste, sagt Superintendentin Ingrid Goldhahn-Müller der taz. "Aber ich sehe es nach wie vor so, dass Interna aus der Diakonie nicht an Zeitungen getragen werden dürfen. Damit verspielen wir uns jegliches Vertrauen."

Auf die Frage, inwieweit das Verschwiegenheitsgebot auch gelte, wenn der Fall auf dramatische Weise, aber doch auf eine Art abgeschlossen ist, sagt Goldhahn-Müller: "Meines Erachtens nach gilt es in der Kirche immer." Alles weitere müsse gegebenenfalls das Arbeitsgericht klären. Der Landkreis, der von Jilani so heftig kritisiert worden war, möchte sich der taz gegenüber nicht äußern. Auch nicht darüber, inwieweit der Fall Bakarat jetzt beim zuständigen Jugendamt aufgearbeitet werde.

Indes fahndet die Polizei weiter nach Ali Bakarat - mittlerweile hat sie ein Foto von ihm veröffentlicht. Am 8. Dezember war bereits ein Versuch gescheitert, Bakarat in einem Mehrfamilienhaus im nordrhein-westfälischen Minden zu verhaften. Die Polizei hatte ihn dort vermutet, weil unter anderem das Fluchtauto ganz in der Nähe gefunden worden war. Mittlerweile gehen die Beamten von einer geplanten Tat aus, der Täter habe die Flucht gut vorbereitet - und dabei höchstwahrscheinlich Hilfe gehabt. Nun wird befürchtet, dass Bakarat sich ins Ausland abgesetzt hat.

Auch die ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY … ungelöst" hatte sich des Falls angenommen. Seitdem sollen 15 Hinweise bei der Polizei eingegangen sein, jedoch keine heiße Spur. Mittlerweile arbeitet die Polizei mit Zielfahndern sowie einer 20-köpfigen Mordkommission. Außerdem hat sie international um polizeiliche Unterstützung gebeten.

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